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ARCHIV

Clarenbach aktuell 2/25

In der Sommerausgabe der „Clarenbach aktuell“ zeigen wir vieles, was in unseren Einrichtungen im zweiten Quartal stattfand: von Maifeiern und Frühlingsfesten, von Ausflügen, Konzerten durch Live Music Now und das „Jazz-Trio Cologne“ oder die Lesung des „Schreibcafé Lammerdin“ in den Häusern.

Passend zum Sommer gibt es ein „Reise-Special“: Lena Klemm schildert in Wort und Bild ihren Aufenthalt in Namibia – während Georg Salzberger fragt, ob Menschen, die reisen, Touristen wider Willen sind. Wir berichten von diversen Unterstützungsangeboten – etwa durch den Wohltätigkeitsverein „Alles für Andere e. V.“ und den Förderkreis des Clarenbachwerks, dessen Mitglieder eine Exkursion ins Museum für Angewandte Kunst gemacht haben. Von der Urban-Sports-Mitgliedschaft für Mitarbeitende des Clarenbachwerks. Und schließlich finden sich die letzten Auszüge aus dem Buch „Lebensbilder“ mit den Biografien einiger Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Frida Kahlo Haus in dieser Ausgabe.

Hier können Sie die „Clarenbach aktuell“ 2/25 als PDF ansehen oder herunterladen. Ältere Ausgaben können Sie unter Angabe der Nummer unter anfordern.

Kreativstunde im Frida Kahlo Haus

Der Sommer kann kommen: Bei einer Kreativstunde und schönsten Sonnenschein im Innenhof gestalteten die Bewohnerinnen und Bewohner des Frida Kahlo Hauses Blumentöpfe: liebevoll von Hand bemalt & dekoriert!

Smoothie-Tag

Die Mitarbeiter-AG beschäftigt sich damit, mit welchen Maßnahmen den Kolleginnen und Kollegen das Arbeitsleben leichter, gesünder und angenehmer gestaltet werden kann.

Zuletzt bot sie allen Mitarbeitenden eine Mini-Auszeit mit leckeren & gesunden Smoothies, aus verschiedenen Obst- und Gemüsesorten vor Ort frisch gemixt!

Förderkreis im MAKK

Die Mitglieder des Förderkreises besuchten die Ausstellung „7000 Jahre Schmuckkunst“ im Museum für Angewandte Kunst. Im Anschluss fand die Mitgliederversammlung statt, wo über die Förderungen für die Häuser in 2025 entschieden wurde.

Wir freuen uns über neue Mitglieder: Wer dabei sein und uns bei besonderen Anschaffungen und Projekten unterstützen will (ab 10 €/Monat): Bitte Mail an !

https://makk.de/

Live Music Now

Musikerinnen und Musiker der Stiftung Live Music Now besuchen regelmäßig das Frida Kahlo Haus und schenken mit ihren Konzerten besondere musikalische Momente.

Auch dieses Mal freuten sich Bewohnende wie Mitarbeitende auf zwei herausragende Künstlerinnen: Die taiwanesische Pianistin Wan-Yen Li, die sich als Stipendiatin renommierter Programme wie der Heidelberger Frühling Liedakademie auf das Kunstlied spezialisiert hat und aktuell als Solo-Pianistin verzaubert.

An ihrer Seite stand die Klarinettistin Eva Gronsfeld, die bereits früh zahlreiche Orchesterprojekte in Europa mitgestaltet hat und heute an der HfMT Köln Instrumentalpädagogik studiert.

Beide Musikerinnen sind Teil des Förderprogramms von Yehudi Menuhin, das durch ehrenamtliche Konzerte Musik zu Menschen bringt, die selbst nicht in Konzerthäuser gehen können. Die Verbindung aus sozialem Engagement und musikalischer Exzellenz ist dabei ganz im Sinne des Geistes von Yehudi Menuhin, einem weltberühmten US-amerikanisch-britischen Geiger und Dirigenten.

Wir danken beiden Künstlerinnen und der Stiftung und freuen uns auf weitere musikalische Erlebnisse voller Nähe und Ausdruck.

https://livemusicnow.de

Neujahr im Frida Kahlo Haus

Wir wünschen allen ein wunderbares neues Jahr 2025!

Das begrüßten auch die Bewohnerinnen, Bewohner und die Mitarbeitenden im Frida Kahlo Haus – mit einer fröhlichen Silvesterparty im Foyer des Hauses feierten sie den Jahresbeginn.

Für das Musikprogramm und stimmungsvolles Licht sorgte gewohnt souverän Herr Jaske.

Zusätzlich wurden in der Cafeteria Bingo und Hot Dogs angeboten.

2025 kann kommen!

Lebensbilder FKH Teil 5

(„Campingplätze und Delphine“ – Auszug aus der Biografie von Stefanie Kündgen)

Mein Mann und ich sind immer gerne auf Campingplätze gefahren. Das war für uns die reinste Erholung. Irgendwann hatten wir mal einen Freund auf dem Campingplatz bei Lohmar besucht, und es hat uns auf Anhieb super gefallen. Als dann die Gelegenheit kam, dort einen festen Stellplatz-Wohnwagen zu bekommen, haben wir zugeschlagen. Von da an haben wir unseren Urlaub hauptsächlich bei Lohmar verbracht, aber nicht nur im Urlaub, sondern auch an vielen Wochenenden waren wir dort. Weil wir im Wohnwagen eine Gas-Heizung hatten, konnten wir sogar im Winter dort sein. Es gab im Wagen auch eine kleine Küche, aber wegen der Gerüche habe ich meistens draußen im Vorzelt gekocht oder mein Mann hat was gegrillt. Besonders herrlich war’s im Sommer, wenn man seine Beine in die Agger stellen konnte, die direkt am Platz vorbeifließt, und mit einer Flasche Bier in der Hand die Ruhe und die zwitschernden Vögel genossen hat. Nachher hatten wir sogar einen kleinen Swimming-Pool, in dem man sich bei heißem Wetter klasse abkühlen konnte.

Wie ein zweites Zuhause war es dort, und so nach und nach hat man sich auch mit den anderen Dauercampern angefreundet – jedenfalls mit den meisten. Irgendwann kennt man schließlich seine Pappenheimer. Viel gefeiert wurde natürlich auch und wenn man mal was brauchte, hat man sich gegenseitig geholfen. Wir hatten dort ein 250 qm großes Grundstück, auf dem auch noch ein alter Schuppen mit Toilette und Stauraum stand: Auf dem Foto müsste im Hintergrund an der Tür mein Sohn Fabian stehen, der anfangs auch noch gerne in unserem Wagen mit dabei war – später mit 13, 14 Jahren hat er seinen eigenen kleinen Wohnwagen in Lohmar bekommen. Aber irgendwann machen die Kinder dann halt ihr eigenes Ding. Fabian, der 1999 geboren ist, hat übrigens nachdem er seine Bäckerlehre abgebrochen hat, eine Ausbildung als Koch angefangen und arbeitet heute auch in diesem Beruf.

Vor dem festen Platz bei Lohmar waren wir auch schon oft im Campingurlaub, anfangs noch mit dem Zelt, später dann mit dem eigenen Wohnwagen. Durch meinen Schlaganfall 2019, nach dem ich elf Tage im Koma lag, ist leider vieles aus meinem Gedächtnis gelöscht worden. Aber ich kann mich noch an Urlaube in Holland, Italien oder Kroatien erinnern. Gefahren ist dann immer mein Mann, ich selber habe keinen Führerschein. Während ich in Wünneberg im Sauerland in der Reha war, gab es an der Agger wie an so vielen anderen Flüssen auch im Juli 2021 ein heftiges Hochwasser. Ein Bekannter vom Campingplatz Lohmar rief meinen Mann an, dass alle Wohnwagen unter Wasser ständen und dass man sie wohl nur noch verschrotten könne. Das war es dann nach 13 Jahren mit unserem zweiten Zuhause … (…)

Geboren bin ich zwar 1982 in Bonn, aber die längste Zeit meines Lebens habe ich in Wesseling gewohnt, dort wuchs ich mit meinen drei älteren Schwestern Patricia, Tanja und Marion auf, ging dort zur Schule und feierte dort Karneval. Ich habe mich immer gerne verkleidet, mir teilweise die Kostüme auch selbst gemacht, bin mit meiner Freundin an Weiberfastnacht um die Häuser gezogen, an Karneval-Samstag mit dem Sohn zum Schülerzug gegangen und sonntags dann beim großen Zug dabei gewesen.

Nach der Schule habe ich viele Jahre als Reinigungskraft von 8 bis 12 Uhr in einem Altenheim in Michaelshoven gearbeitet, da konnte man gut in zehn Minuten mit der Linie 16 hinkommen. Für zwei Jahre habe ich auch mal in Berzdorf gearbeitet. Im Sommer konnte ich da mit dem Fahrrad hinfahren, es war immer herrlich nach der Arbeit am Erholungsgebiet im Entenfang vorbei zu radeln, bevor ich mich dann um die Hausarbeit und das Essen für Sohn und Mann kümmern musste. (…)

Wie gesagt, wir waren immer gerne auf Achse. Und neben längeren Camping-Urlauben haben wir auch schon mal kürzere Städtetouren gemacht, zum Beispiel nach London, nach Salzburg, nach Emden oder eben wie hier nach Paris, wo man auch schnell mal mit dem Thalys hinfahren kann. Im Hintergrund erkennt man noch den Eiffelturm, wo ich mich wegen meiner Höhenangst nur ganz vorsichtig raufgetraut und ans Geländer gekrallt habe. Mein Mann, der mir diese Kurzreise zu Weihnachten schenkte, hatte als Dachdecker damit natürlich überhaupt keine Probleme. Mein Mann ist übrigens Ehemann Nr. 2, und wenn mir mal früher jemand gesagt hätte, dass wir heiraten, hätte ich ihm bestimmt einen Vogel gezeigt. Er war lustigerweise bei der ersten Hochzeit noch als Gast dabei und wohnte sogar im gleichen Haus wie ich. Nach der Scheidung von meinem ersten Mann, sind wir uns dann aber allmählich näher gekommen. Mein Sohn Fabian nennt ihn übrigens Papa, auch wenn er nicht sein Erzeuger war. Geheiratet haben wir an einem 11.11., damit wir auch ein Datum haben, das wir nie vergessen können.

Wir haben viele tolle Urlaube gemacht. Zum Beispiel in Ägypten am Roten Meer, wo wir beide zum Beispiel getaucht haben, auf Kamelen geritten und zur Freude meines Mannes mit einem Quad gefahren sind. Oder auch in Holland, wo wir auf einem Campingplatz mit riesigem Spielplatz waren, auf dem sich mein Sohn stundenlang beschäftigen konnte. Der Urlaub in Kroatien war ganz besonders klasse. Und zwar nicht nur, weil wir dort auf einem wunderbaren Campingplatz direkt am Mittelmeer waren, sondern auch, weil wir bei einem Bootsausflug ganz viele Delphine sahen, die lange neben uns her geschwommen und manchmal sogar hochgesprungen sind.

Delphine sind meine absoluten Lieblingstiere, sie sind schön und intelligent. Auf unserem Campingplatz in Lohmar hat mir mal jemand eine Delphin-Flagge geschenkt, die ich auch mit großer Begeisterung vor unserem Wagen aufgehängt habe. Wenn ich mich nochmal tätowieren lassen sollte, dann würde ich mich wohl für Delphine entscheiden. Supergerne würde ich auch mal eine Delphin-Therapie ausprobieren. (…)

Gerne bin ich mit meinen Freundinnen in Wesseling auch ausgegangen, wenn wir dazu Gelegenheit hatten. Zum Beispiel in die Kneipe „Der Backes“, wo damals noch fast alle Gäste geraucht haben. Ich war da auch keine Ausnahme und habe mir das Rauchen erst nach dem Schlaganfall im Krankenhaus abgewöhnt. Meine Freundin Monika war übrigens auch die Erste, die gemerkt hat, dass mit mir was nicht stimmte. Ich selber habe den Schlaganfall total unterschätzt und dachte, dass ich einfach bloß eine Erkältung mit starken Kopfschmerzen hätte. Obwohl meine Freundin immer wieder sagte, „Steffi, du redest aber komisch!“, habe ich das noch alles total auf die leichte Schulter genommen und gedacht, ich müsste nur mal was essen und ein bisschen ausruhen, dann wird das bestimmt schon wieder besser. Aber abends wurde es dann eher noch schlimmer statt besser, mein Bein hat extrem gezittert, wurde immer wackeliger und schließlich bin ich ins Koma gefallen. Meine Freundin Karola war es dann, die den Notarzt gerufen hat. Dafür bin ich ihr heute noch dankbar – leider ist sie vor zwei Jahren an einer schweren Diabetes-Erkrankung gestorben.

Elf Tage lag ich insgesamt im Koma. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass man im Krankenhaus schon kurz davor war, die Hoffnung aufzugeben. Als ich dann aber plötzlich zur Überraschung des Personals wieder aufgewacht bin, stand mein Mann mit zwei Bekannten vor mir und hat mir erklärt, was mit mir passiert ist. Durch den Schlaganfall war meine linke Seite gelähmt und wegen der künstlichen Beatmung, die im Koma nötig war, hatte man einen Luftröhrenschnitt gemacht und ein Tracheosthoma eingesetzt. Zwei Jahre lang habe ich eine Kanüle im Hals gehabt. Zum Glück im Unglück waren drei Finger an der rechten Hand noch beweglich, sodass ich immerhin mein Smartphone und die Fernbedienung benutzen kann. Auch essen, trinken und Rollstuhl fahren kann ich damit relativ gut.

Nach dem Krankenhaus bin ich dann für zwei Jahre ins Haus Steinacker nach Bonn-Beuel gekommen, so eine Art ambulante Wohngemeinschaft für sehr pflegebedürftige Menschen. Dort habe ich auch ein paarmal in der Woche Sprachtherapie bekommen. Das Loch im Hals musste ich mir beim Reden immer zuhalten und gleichzeitig mit dem Rollstuhl zu fahren, konnte man dann leider vergessen. Vieles musste ich wieder ganz langsam lernen, nicht nur das Sprechen, sondern auch zum Beispiel ein Butterbrot zu schmieren oder den Henkel von einer Tasse zu greifen, anfangs konnte ich bloß mit Strohhalm trinken.

Im Anschluss an das Haus Steinacker gab es eine Reha in Wünnenberg im Sauerland. Dort hat man mir auch das Tracheosthoma gezogen. Das Loch im Hals hat man mir dann später im St. Elisabeth-Krankenhaus in Hohenlind zugenäht. In Wünnenberg bin ich auch viel am Gehwagen gelaufen, um die Muskulatur wieder aufzubauen. Ich bin dort auch tatsächlich viel beweglicher geworden. Nur schade, dass in der Zeit im Sauerland wegen der Corona-Geschichte der Besuch so stark eingeschränkt war. Danach bin ich über die Vermittlung meiner Schwester ins Frida Kahlo Haus gekommen. Seit September 2021 lebe ich jetzt hier.

Weil meine Nichten wissen, wie sehr ich Tiere liebe, haben sie mir mal einen Tag im Kölner Zoo geschenkt. Das war eine tolle Idee! Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie heiß es an dem Sommertag war … es war sogar so heiß, dass sich der Tiger nicht draußen im Gehege blicken ließ. Aber auch ohne Tiger war es eine schöne Abwechslung, denn es gab ja noch viele andere interessante Tiere wie die Erdmännchen, die Seelöwen, die Giraffen, die Pinguine oder die hübschen Flamingos. Auf dem Bild sind übrigens noch längst nicht alle Nichten versammelt, die es gibt. Denn vor allem dank meiner Schwester Marion habe ich insgesamt elf davon. Daneben gibt es auch noch Neffen, Großnichten und Enkel. Da ist es wirklich nicht leicht, immer an alle Geburtstage zu denken. (…)

Ich bin immer froh, wenn es mal Gelegenheiten gibt, aus dem Haus rauszukommen. Auch wenn ich mich hier sehr gut aufgehoben fühle, fällt einem doch manchmal die Decke auf dem Kopf. Ich würde jedenfalls gerne noch weitere Konzerte oder Musicals besuchen wie zum Beispiel „Holiday on Ice“. Gegen vom Haus organisierte Ausflüge wie im letzten Sommer nach Koblenz hätte ich auch nichts einzuwenden. Ganz besonders freue ich mich über die einwöchige Reise nach Mallorca, die hier vom Haus aus mit einer kleinen Gruppe organisiert wird. Endlich mal wieder Sonne, Strand und Meer … und wer weiß, vielleicht sogar Delphine …

Der vollständige Beitrag – und noch weitere lesenswerte Biografien der Bewohnerinnen und Bewohner – im Band „Lebensbilder“ aus dem Frida Kahlo Haus. Das Buch ist – gegen eine Spende in beliebiger Höhe für eine Rollstuhl-Rikscha – erhältlich unter bzw. Tel. 0221-4985-220.

Pflegebeduerftigkeit vorbereiten

Psychologe Georg Salzberger berichtet von einem Erlebnis in seiner Verwandtschaft, das ihn sehr beeindruckt hat. Sich auf die Pflegebedürftigkeit vorbereiten – wer macht denn sowas und warum sollte man überhaupt?

Zurzeit liest und hört man viel darüber, wie sich das Alter hinauszögern lassen soll. Die Techmilliardäre aus dem Silicon Valley geben Unsummen aus, um nicht nur das Alter, sondern direkt auch die Sterblichkeit zu besiegen und wähnen sich auf gutem Weg.

Wenn das Alter morgen schon besiegt sein wird und wenn sich zeigt, dass das Alter nur eine soziale Konstruktion ist und kein biologisches Fundament hat, wenn morgen schon die Unsterblichkeit wartet, dann sind Versuche, sich auf das Alter vorzubereiten und Dinge zu regeln, die man dann nicht mehr selbstständig regeln kann, albern und überflüssig.

Allerdings bin ich nicht alleine der Ansicht, dass sich auch dieses Mal die Biologie nicht besiegen lässt und dass die Erhebung des Menschen über die Natur hybrid ist, unnötig Energie verbraucht und die Menschen davon abhält, ihr Leben zu leben. Wer sich für das Altern und Strategien für ein gutes Alter interessiert, lese das just erschienene Buch des Nobelpreisträgers Venki Ramakrishnan, „Warum wir sterben. Die neue Wissenschaft des Alterns und die Suche nach dem ewigen Leben“.

Die einzig wirksamen Mittel, das Leben ein bisschen zu verlängern, sind die bekannten, ungemütlichen Dinge wie viel Bewegung, gesunde Ernährung, viel Schlaf und weder Alkohol noch Nikotin. Ansonsten bleibt das Alter auch bei guten Genen eine Art von Krankheit, die tödlich verläuft. Die vermeintliche Verjüngung ist kosmetisch bedingt, macht viel Arbeit und ist wie ein Krieg gegen den eigenen Körper.

Warum berichte ich davon? Die vielen Versuche, das Alter zu besiegen oder es zu leugnen oder es zu übermalen verhindern etwas, was im Alter viel wichtiger ist und was sowieso gerne unterlassen oder herausgezögert wird, nämlich eine gute Vorbereitung auf die nicht immer prickelnden Gegebenheiten im höheren Alter. Mein Vater, als Notar am Niederrhein ständig mit der Beurkundung von Testamenten beschäftigt, hat sein eigenes gerade mal zwei Wochen vor seinem Tod gemacht.

Zwei gute Freunde, beide Mediziner, haben trotz ihres fortgeschrittenen Alters immer noch keine Patientenverfügung. Auch ansonsten beobachte ich, dass viele Menschen davon sprechen, man müsste endlich mal eine Verfügung für die Eventualitäten des Alters machen, aber es vor sich herschieben. Das erinnert mich an Menschen in Madagaskar, die eine Krankenversicherung ablehnen, weil diese ja, wenn man sie abschließe, die Krankheiten erst anziehen würde. Genauso magisch verhält man sich, wenn man meint, durch das Aufschieben von Vorsorge das Unglück namens Alter abwenden zu können. Dass es auch anders geht, davon will ich hier berichten.

Vor gut einem Jahr erhielten wir eine Nachricht aus einem Krankenhaus, in das eine Tante meiner Frau just eingeliefert worden war. Die hatte kurz vorher noch eine Besuchsanfrage unsererseits abgelehnt, sie müsse vorher noch einiges erledigen und vor allem ihren Arzt aufsuchen. Sie wirkte am Telefon dabei wie immer, berufsbedingt achtete ich auf Anzeichen von altersbedingten Veränderungen, gerade was die Kognition anging. Jetzt aber, kurz vor ihrem 84. Geburtstag, trafen wir im Krankenhaus eine deutlich verwirrte und offensichtlich bereits fortgeschritten demente Frau an.

Sie freute sich, uns zu sehen und erzählte, dass sie sich kurz erholen müsse, sie sei zu Hause gestürzt. Dass die Demenz bereits im fortgeschrittenen Stadium war, erkannten wir daran, dass sie offensichtlich nicht unter ihrer Desorientierung litt. Wir hatten ein schlechtes Gewissen, da wir diese Entwicklung nicht mitbekommen hatten und wussten noch nicht, dass ihre Demenz einen schnellen, ja rasanten Verlauf nahm, sie starb bereits ein Jahr später und damit eine Woche nach ihrem 85. Geburtstag.

In ihrer Wohnung sahen wir, dass sie dort einige Tage hilflos verbracht haben musste, bevor eine Nachbarin für die Krankenhauseinweisung gesorgt hatte. Aber neben einem kleinen Chaos fanden wir einen gut sichtbaren Ordner mit der Rückenbeschriftung „Notfallordner“. Und darin befanden sich alle möglichen Dokumente für alle möglichen Tatsächlichkeiten: Wo ist was? – Woran muss gedacht werden? – Was darf nicht vergessen werden? Darüber hinaus nicht nur ein Testament, sondern eine sehr konkrete und detaillierte Patientenverfügung und auch genaue Verfügungen, was zu passieren hat, wenn sie pflegebedürftig werden sollte und nicht mehr selbst über sich entscheiden kann.

Dass sich jemand mit einer eventuellen Pflegebedürftigkeit im Vorfeld auseinandersetzt und Tante Bärbel und ihre Nichte im Altenheim in Bad Godesberg dabei auch das Thema Pflegeheim mitberücksichtigt, habe ich noch nicht erlebt. Auch ihre Betreuung hatte sie bereits im Vorfeld geregelt und dafür mit einem katholischen Betreuungsverein ein Vorgespräch geführt. Und sie hatte festgelegt, dass sie gerne in ein Pflegeheim in katholischer Trägerschaft ziehen wollte. Auch, wie mit ihren Habseligkeiten umzugehen ist, hatte sie niedergelegt. Sie erwähnte, dass sie es zu bescheidenem Wohlstand gebracht habe. Sie erfreue sich an vielen Dingen, aber sie wisse auch, sie könne nichts mitnehmen.

Erst kürzlich las ich den schönen Essay, in dem Elke Brüns über unser Verhältnis zu den Dingen nachdenkt (Dinge. Warum wir sie brauchen und warum wir uns von ihnen trennen müssen). Eine Hauptthese geht davon aus, dass sich in unserem Umgang mit den Dingen „Prozesse der Verlebendigung und der Verabschiedung“ vollziehen, in denen sich unser „Leben als permanenter, kaum reflektierter Austausch mit dem Tod spiegelt“.

Wer den Essay liest, versteht noch besser, warum viele Menschen sich so ungern mit Fragen das Lebensende betreffend auseinandersetzen. Und ich verstand einmal mehr, wie besonders und ungewöhnlich es war, dass sich die Tante meiner Frau mit dem hohen Alter und dem Lebensende auseinandergesetzt hatte. Da wir die Tante, die immer ein sehr selbstständiges Leben geführt hat, als Lehrerin durchgängig berufstätig war, nur sporadisch besucht hatten, waren wir überaus erfreut, dass wir jetzt, wo schnell klar war, ein Zurück in ihre Wohnung kam nicht mehr infrage, uns an ihre vorher festgelegten Wünsche halten konnten.

Es ist eine Erleichterung, nicht über den Kopf hinweg Entscheidungen zu treffen, sondern zu wissen, so hat sie sich ihr pflegebedürftiges Alter vorgestellt und so hat sie sich die Umstände gewünscht. Gerade für meine Frau, die kurz vorher bereits ihre Tante mütterlicherseits auf ihren letzten Lebensjahren begleitet hat und dabei viel Energie darauf verwendet hat, zu helfen, obwohl Hilfsbedürftigkeit geleugnet wurde, war es eine wirkliche Erleichterung. Und auch dafür lohnt sich eine solch genaue Vorsorge für das hohe Alter, welches bekanntlich nicht selten von Krankheiten und gar von Demenz begleitet ist.

Wie wir im weiteren Verlauf feststellen konnten, hatte diese Vorsorge womöglich auch dazu beigetragen, ein wirklich zufriedenes Jahr in einem Altenheim in Bonn zu verbringen, dass wie ihre Wohnung in Bonn-Beuel nahe dem Rhein liegt. Das war zunächst für uns noch nicht absehbar. Wie gesagt, litt sie offensichtlich nicht unter ihrer rasant zunehmenden Desorientierung, wusste aber sehr wohl, dass sie nicht zuhause, sondern im Krankenhaus war.

Dass irgendwas nicht stimmen konnte, erkannte sie auch daran, dass meine Frau und ich in reichlich kurzen Abständen „auf der Matte standen“, das war neu und ungewöhnlich. Sie stimmte direkt zu, als die inzwischen tätige Betreuerin für sie einen Heimplatz gefunden hatte. Dort lebte sie sich schnell ein, war, vermutlich aufgrund ihrer Zufriedenheit, sehr beliebt und allseits gemocht.

Wichtiger als die starke Religiosität, die sie ihr Leben lang gepflegt hatte und die im Rahmen ihrer Demenz ganz in den Hintergrund trat, wichtiger als die Rückkehr in ihre Wohnung schien ihr zu sein, dass ihre, natürlich ebenfalls hochbetagten Freundinnen sie besuchten, bzw. ihr mit häufigen Postkarten und Briefen signalisierten, nicht allein zu sein. Kleinere Spaziergänge in der Umgebung, gutes Essen, dass man nicht selbst zubereiten musste – sie hatte das Kochen nie besonders geschätzt und kam Zeit ihres Lebens mit zwei Kochplatten aus – das reichte ihr, um zufrieden zu sein. Wir haben uns oft gefragt, ob diese Zufriedenheit „echt“ war oder nicht vielleicht der Tendenz, keinem zur Last fallen zu wollen, geschuldet sein könnte, aber es sprach alles dafür, dass sie selbst ihre Pflegebedürftigkeit wie auch ihren Verlust an Orientierung akzeptieren konnte.

In der psychologischen Gerontologie wird seit längerem diskutiert, ob es auch individuelle Faktoren gibt, die es Menschen ermöglicht, weniger hadernd, weniger depressiv mit Pflegebedürftigkeit, Hilfsbedürftigkeit, Abhängigkeit und womöglich sogar mit besagtem Orientierungsverlust zu leben. Das ist auch deshalb eine knifflige Frage, als durch die Demenz natürlich auch die Bewältigungsstrategien, die Coping-Strategien, wie wir Psychologen sagen, betroffen sind.

Also genau das, was eventuell helfen kann, Hilfsbedürftigkeit und Orientierungsverlust zu bewältigen. Bei der Tante meiner Frau war es jedenfalls offensichtlich, dass sie mit besonderer Gelassenheit, mit viel Vertrauen darin, dass man ihr hilft und sie dabei gut behandelt wird, und mit hoher Akzeptanz ihrem Lebensende und dem zunehmend dunkleren Weg dahin entgegenging. Vielleicht war es auch ihre Religiosität, die sie dabei unterstützte, etwas, was niemand handelnd mehr ändern kann, hinnehmen zu lernen.

Die Fähigkeit, mit Verlusten umzugehen, gehört in unserer Kultur, wo alles machbar sein soll, bekanntlich nicht zu den Stärken, ist sogar als Verlierermentalität verschrien und abgewertet. Dabei erleben auch wir „Selbstverwirklicher“ ständig Situationen, in denen man Verluste hinnehmen muss. Das ständige Ändern und Machen, der permanente Willen, sich die Wirklichkeit gefügig zu machen, Herr seines Schicksals zu sein, ist immer auch eine kämpferische Haltung, eine Gegnerschaft sogar zu Welt und Leben.

Manchmal ist die radikale Akzeptanz (ein psychologischer Begriff, der ursprünglich dem Zen-Buddhismus entlehnt ist) einer Wirklichkeit, die einem nicht passt, die klügere Haltung. Jedenfalls verfügte Tante Bärbel darüber in besonderer Weise. Und meine Frau und ich, die sich hin und wieder über die überbordende Religiosität der Tante mokierten, lernten neben der großen Freundlichkeit und Herzlichkeit, die sie auszeichnete, eine Seite an ihr kennen, die wir nur bewundern konnten.

Und wir erinnerten uns auf einmal daran, dass sie sich bereits früh auf das Alter vorbereitet hatte. Ob es das Autofahren war, dass sie frühzeitig eingestellt hat, obwohl ihr das immer wichtig war, oder die Überlegungen dazu, dass ihre Eltern eine Phase der Hilfsbedürftigkeit vor ihrem Tod hatten und sie das beschäftige, es gab viele kleine Anzeichen, dass sie sich aktiv mit dem Altwerden und Altgewordensein auseinandergesetzt hatte.

Und auch hier zeigt ein Blick in die Psychologie, dass zur Vorbereitung unbedingt das Antizipieren gehört, das heißt, sich möglichst realistisch und leibhaftig vorzustellen, in welche Situationen man geraten kann und wie man annimmt, dass man selbst zum Beispiel auf Hilfsbedürftigkeit reagieren wird. Selbst den Orientierungsverlust, den man im Rahmen einer Demenz erlebt, kann man versuchen, sich vorzustellen, da wir alle eine Zeit kennen, in der wir noch nicht orientiert waren, nämlich als Kinder.

Als Kind kann man die mangelhafte Orientierung übrigens meist gut aushalten, weil einem die Eltern Sicherheit geben. Ganz ähnlich konnte die Tante meiner Frau den Orientierungsverlust verschmerzen, wohl auch, weil sie sich in guten Händen wähnte. Dr. Georg Salzberger
Kammermusik bewegende Momente 2

Gerade berichtete der Stadtanzeiger über das Projekt in unseren Einrichtungen: Melanie Heizmann, Sängerin, ehrenamtliche Palliativbegleiterin und systemischer Coach, bietet „Kammermusik“ an – aber nicht in der klassischen Definition, sondern für Menschen, die nicht mehr so mobil oder bettlägerig sind.

Das Clarenbachwerk startete ein Pilotprojekt mit ihr zum Sommerfest 2022 – während draußen die Bands spielten, besuchte Melanie Heizmann einzelne Bewohnerinnen und Bewohner in deren „Kammer“ und schenkte ihnen ein kleines Privatkonzert „an der Bettkante“.

Mit einer Musik-Box kommt sie zu etwa 20-minütigen, musikalischen 1:1-Begegnungen vorbei. Die Lieder sind auf die Bewohnerwünsche angepasst: seien es die Comedian Harmonists, alte Volkslieder, Jazz oder saisonal passend. Oft ermöglicht die Musik Gesprächsanlässe und Rückschlüsse auf das Befinden.

Mit ihrem Angebot erreicht Melanie Heizmann selbst Menschen, die durch Demenz ein herausforderndes Verhalten zeigen oder kaum mehr ansprechbar sind. Auch wenn Bewohner im Sterben liegen, weiß sie, was im jeweiligen Moment gefragt ist: Ansprache, die Hand halten, Mut machen – oder ein Lied singen.

Lebensbilder FKH Teil 4

(„Gleitschirm und Magnolien“ – Auszug aus der Biografie von Ali Akbas)

Mein Name ist Ali Akbas. Geboren bin ich 1971 und seit 2005 wohne ich hier im Frida Kahlo Haus. Durch einen Unfall im Sommer 1986 bin ich querschnittsgelähmt.

Die ersten neun Jahre meines Lebens habe ich in Esençay verbracht. Das Dorf Esençay, das übersetzt so viel bedeutet wie „windiger Bach“, liegt wunderschön in der Provinz Amasya, in der Nähe vom Schwarzen Meer. Es ist total grün und sehr fruchtbar dort am Rand der Berge, die teilweise über tausend Meter hoch sind. Fast alles, was man sich wünscht, wächst dort oben in der mittleren Nord-Türkei. Jeder hatte damals mehr oder weniger Landwirtschaft und Tabak, Gemüse, Sonnenblumen oder Früchte angebaut. In der Natur drumherum findet man überall Bäche, kleine Flüsschen, viele Wälder, rauschende Wasserfälle, tolle Seen und tiefe Schluchten. An Tieren gab es Kühe, Ziegen, Schafe, Hunde, Katzen oder Esel, auf denen wir teilweise sogar geritten sind. (…)

Im Sommer konnte es ziemlich heiß und im Winter extrem kalt werden. Oft hatten wir über einen Meter hohen Schnee, was uns aber nicht abgehalten hat, stundenlang Schlitten zu fahren und total verfroren und nass nach Hause zu kommen. Die Oma hat dann natürlich immer geschimpft. Naja, aber zum Glück konnte ich mich dann am Kaminofen, der mit Holz geheizt wurde, so langsam aufwärmen. Im Ort gab es ein Ober- und ein Unterdorf und etwa in der Mitte waren eine Moschee, ein kleiner Supermarkt, verschiedene Backhäuser, die jeder Einwohner nutzen konnte, sowie ein Platz, wo zweimal in der Woche ein Markt stattfand.

In unserem Viertel gab es ganz viele Mitglieder der Familie Akbas und sogar auch eine Akbas-Straße. Noch heute habe ich eine ganze Menge Verwandte dort … Wenn ich auf die weiterführende Schule gegangen wäre, hätte ich täglich mit dem Bus zur Provinzhauptstadt Amasya fahren müssen, die etwa 15 Kilometer weiter talwärts liegt. Aber dazu kam es bei mir nicht. Wie so viele andere Leute aus dem Dorf ist nämlich auch mein Vater nach Deutschland zum Arbeiten gegangen, weil er in der dörflichen Landwirtschaft, wo man für viel Arbeit nur wenig Lohn bekam, keine Zukunft für sich und seine Familie sah. In Esençay wurden damals Flugblätter verteilt und darauf stand, dass man in Deutschland dringend Arbeiter suchen würde! Zuerst ging mein Vater, dann ging meine Mama und nachdem sie sich in Gelsenkirchen eingewöhnt und noch einen Sohn bekommen hatten, holten sie mich nach und schließlich kamen auch meine anderen zwei Geschwister auf die Welt. Ich habe noch zwei jüngere Brüder und eine jüngere Schwester, mit denen ich mich supergut verstehe. In der Zwischenzeit habe ich bei der Oma oder bei Tanten gelebt. Ich weiß noch, wie ich in den Sommerferien 1980 nach Gelsenkirchen-Ückendorf kam. Ich habe auf die grauen Hochhäuser und die laute zweispurige Straße voller stinkender Autos geschaut und geschimpft: „Ich will wieder zurück nach Esençay!“

Ich bin aber dann doch in Gelsenkirchen geblieben und habe schließlich in einer integrativen türkischen Grundschulklasse die neue Sprache „von null an“ lernen müssen. Mein Vater bekam erst nach fünf Jahren eine feste Stelle. Anfangs wohnte er noch mit anderen in einem Bettenlager in einer Sporthalle, wo man sie jeden Morgen abgeholt hat, damit sie alle möglichen Arbeiten erledigten, die sonst keiner machen wollte. Also oft richtig eklige Drecksmaloche, wo man mit Gasen und Pestiziden in Berührung kam. Zum Glück gab es aber auch noch viele andere türkische Kollegen, mit denen er sich austauschen konnte, die ihm bei der neuen Sprache und der ungewohnten Bürokratie helfen konnten. Oft trafen sie sich in türkischen Kulturvereinshäusern, die seit den 1980er-Jahren zunehmend entstanden sind. Dort konnte man bei Musik, Folklore, Tanz und viel Tee das Heimweh ein bisschen vergessen.

Mein Vater war zwar auch musikalisch, aber für die Saz war er nicht unbedingt begabt. Das war bei mir anders, und ich habe relativ schnell gelernt, mit dem typisch türkischen Saiteninstrument umzugehen. Die hohen Töne sind unten und die dunklen Töne sind oben … Manches habe ich bei einem Bekannten gelernt, aber vieles habe ich mir auch selbst durch genaues Hören beigebracht. (…)

Nebenher lebte ich aber auch noch meine Liebe zu Fußball, Tischtennis und verschiedenen anderen Sportarten aus, und im Sommer bin ich auch gerne im Freibad gewesen. Nach der Schule ging es meistens zuerst auf den Bolzplatz, oft sogar noch vor dem Essen, oder wir sind mit unseren Freunden und dem Ghettoblaster losgezogen, um neue Breakdance-Moves zu üben. Ich war damals eigentlich immer irgendwie in Bewegung und hatte auch schon eine Freundin.

Bis ich dann im Sommer 1986 den Unfall hatte, der mein Leben ziemlich krass verändert hat. Mit unserer Schulklasse waren wir in einer Jugendherberge in Osnabrück. Ganz in der Nähe war ein Baggersee, der ein paar von uns Jungs so verführerisch angelacht hat, dass wir da unbedingt rein wollten. Ich bin dann mit meinem Kopfsprung im flachen Wasser extrem hart gelandet und das war‘s dann mit meiner Beweglichkeit. Ich kam ins Krankenhaus und spürte meine Beine und Hände nicht mehr. Als mir die Ärzte später sagten, dass ich für immer querschnittsgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen sein würde, war ich so geschockt, dass ich sie volle Kanne beschimpft habe. Ich musste die ganze Scheiße erst so nach und nach verdauen. Zuhause ist mir irgendwann richtig klar geworden, dass ich nie wieder Saz spielen kann. Aus Wut habe ich sie dann total demoliert …

Nach dem Unfall haben mich die Familie, enge Freunde und auch die Schule aber so stark unterstützt, dass ich den Abschluss geschafft habe, um dann sogar die höhere Handelsschule zu besuchen und eine Lehre als Bürokaufmann zu machen. Mit Ende 20 habe ich einen Arbeitsplatz bei der Konditorei Nehge in Gelsenkirchen gefunden, die besonders für ihre Marzipan- und Honigkuchen-Produktion bekannt war. Von 7:30 bis 14:30 Uhr habe ich dort 35 Stunden in der Woche gearbeitet. Mein Vater, der bis zu seiner Rente zur Überbrückung arbeitslos war, hat mich morgens immer mit dem Auto hingefahren und auch später wieder abgeholt. Schon nach einem Monat Probezeit waren die mit mir so zufrieden, dass sie mich gerne weiter beschäftigt haben. Viereinhalb Jahre habe ich eine feste Stelle gehabt und wenn die Firma nicht insolvent geworden wäre, hätte ich bestimmt auch noch eine Verlängerung bekommen. Das Ganze wurde übrigens auch vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Modellprojekt gefördert, weshalb mein Lohn anteilsweise vom Arbeitsamt übernommen wurde. (…)

Im Jahr 2004 mussten wir dann eine Entscheidung treffen. Meine Mutter hatte einen Bandscheibenvorfall, mein Vater war auch krank und meine drei Geschwister waren zu dem Zeitpunkt alle schon aus der elterlichen Wohnung raus. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass wir einen Heimplatz für mich suchen mussten. In Gelsenkirchen war allerdings nichts Passendes zu finden, es gab nur Altenheime oder Häuser für geistig Behinderte. Als ich mal wieder wegen irgendeiner Sache im Krankenhaus lag, und zwar in Bochum-Bergmannsheil, hat mir eine Sozialarbeiterin eine Broschüre gezeigt, die vom damaligen Bewohner Hubertus Sievers aus dem Frida Kahlo Haus dort hinterlassen wurde. Sie meinte, das wäre doch vielleicht genau das Richtige für mich. Im Januar 2005 gab es dann ein längeres Gespräch mit dem Haus und im März 2005 war schon ein Platz für mich frei. Zuerst natürlich noch im Doppelzimmer, insgesamt wohl so dreieinhalb Jahre lang.

Auf der Station, wo ich zuerst war, gab es einen türkischen Stationsleiter, mit dem ich mich super verstanden habe. Ich bin sogar länger als nötig im Doppelzimmer geblieben, aber irgendwann möchte man doch mal mehr Ruhe haben und dafür war das Zimmer, das ich jetzt schon seit 2009 bewohne, bestens geeignet. Schön nach hinten raus, ziemlich ruhig mit Blick ins Grüne. Als ich neu in Köln war, habe ich erstmal so nach und nach die mir damals ganz unbekannte Stadt erkundet. Angefangen habe ich mit Weiden und dem Einkaufszentrum, wo man schnell mit der Linie 1 hinkommt, und dann ging es irgendwann auch in den Grüngürtel, in die Altstadt, nach Ehrenfeld oder nach Deutz, Mülheim und Poll an den Rhein. Ich kann mich noch erinnern, wie ich beim ersten Mal am Flussufer mit dem Rolli im Sand stecken geblieben bin. Da kam ich nur mit fremder Hilfe wieder raus. Über die Jahre lernte ich dann meine neue Heimatstadt immer besser kennen. Als alter Gelsenkirchener habe ich aber trotzdem meinem Herzensverein Schalke 04 immer die Treue gehalten, wie man bei mir im Zimmer ganz deutlich sehen kann!

Als großer Bob Marley-Fan bin ich natürlich irgendwann auch auf dem Summer Jam am Fühlinger See in Köln gelandet. Es ist das größte Reggae-Festival in ganz Europa und findet jedes Jahr an drei Tagen im Juli statt. Ich glaube, dass ich dort schon seit 2011 regelmäßig mit am Start bin, wenn nicht gerade Corona oder ein Krankenhausaufenthalt das verhindert. Ist zwar ein bisschen umständlich mit der Fahrerei, zuerst die Linie 1, dann umsteigen in die 12 oder 15 und dann noch ‘ne Strecke mit dem Bus … und spätabends dann das gleiche Spiel wieder zurück … Aber egal, ich freue mich jedes Jahr auf dieses Musik-Festival, und ich habe in der Reggae-Szene auch schon so einige Freunde gefunden. Weil viele auf dem Gelände am See ihre Zelte aufbauen, dort reichlich gegessen, getrunken, geraucht und gechillt wird, hat das Ganze auch eine superentspannte Urlaubsatmosphäre. Interessanterweise gibt’s da wiederum auch viele Querverbindungen zur Techno-Szene. (…)

Mit dem Gleitschirm zu fliegen war ein absolut unvergessliches Erlebnis. Ich weiß noch, wie wir 2019 im Familienkreis in Alanya am Mittelmeer Urlaub machten, die Kinder von meiner Schwester waren auch dabei. Eines Tages saß ich am Strand und beobachtete fasziniert die Gleitschirme, mit denen man dort fliegen konnte. „Dat mach’ ich auch!“ war das Erste, was mir durch den Kopf ging. Und mit Hilfe meines supersportlichen Bruders, der auch schon Paragliding-Erfahrung am Berg hatte, haben wir meine spontane Idee zum Glück auch umsetzen können. Die Jungs vom Motorboot haben uns am Anfang eine kleine Einführung gegeben, wie man sich verhalten sollte, dann sind sie ein Stück rausgefahren, haben uns gezogen und dabei die Verbindungsleine immer weiter aufgerollt, sodass wir irgendwann wohl 40 bis 50 Meter hoch über dem Mittelmeer geschwebt sind. Was für ein geiles Gefühl! (…)

Ich liebe die Natur und ich liebe meine Familie. Besonders cool ist es, wenn man beides miteinander verbinden kann, wie auf den Fotos zum Beispiel bei einem Ausflug zum Adenauer Weiher in Köln. Ich nehme mal an, dass mein anderer Bruder dieses Foto gemacht hat, sonst wäre der sicher auch auf dem Bild zu sehen. Immer wenn wir zusammen mit der Family was unternehmen, egal, ob das nun ein gemeinsamer Urlaub in der Türkei, in Sardinien oder auch nur ein kleiner Ausflug in der Nähe vom Frida Kahlo Haus ist, geht mir das Herz auf. (…)

Einer meiner Lieblingsorte beim Frida Kahlo Haus ist der Platz auf dem Hof am Magnolienbaum. Vor allem, wenn er im März/April so wunderbar blüht. Leider haben diese schönen Blüten nur ein kurzes Leben. Ein kurzes Leben hatten leider auch zahlreiche Bewohner, die ich hier seit 2005 kennengelernt habe. Viele sind traurigerweise inzwischen gestorben und auch ich bin dem Tod schon ein paarmal nur ganz knapp von der Schippe gesprungen. Das Problem bei mir ist ja, dass ich als Querschnittsgelähmter einen großen Teil meines Körpers überhaupt nicht mehr spüre. So kann ich natürlich auch keine Warnsignale empfangen und handele mir alle möglichen Krankheiten und Infekte ein, ohne es direkt zu merken. (…)

Naja, was soll ich sagen … Hoffen wir mal, dass weiterhin alles gutgeht! Der Winter ist für mich immer die härteste Zeit, weil man bei dem Mistwetter und der Dunkelheit kaum raus kann. Damit mir die Decke dann im Zimmer nicht auf den Kopf fällt, schaue ich mir viele Serien oder YouTube-Videos an. Am liebsten gucke ich Reise-Dokus, vor allem aus der Türkei. Auf die Weise habe ich schon fast alle Regionen aus meinem alten Heimatland kennengelernt. Aber sobald die Magnolien vor dem Haus blühen, weiß ich, dass die Tage deutlich länger werden und ich endlich auch wieder mehr draußen unternehmen kann.

Der vollständige Beitrag – und noch weitere lesenswerte Biografien der Bewohnerinnen und Bewohner – im Band „Lebensbilder“ aus dem Frida Kahlo Haus. Das Buch ist – gegen eine Spende in beliebiger Höhe für eine Rollstuhl-Rikscha – erhältlich unter bzw. Tel. 0221-4985-220.

Kammermusik bewegende Momente

Gerade berichtete der Stadtanzeiger über das Projekt in unseren Einrichtungen: Melanie Heizmann, Sängerin, ehrenamtliche Palliativbegleiterin und systemischer Coach, bietet „Kammermusik“ an – aber nicht in der klassischen Definition, sondern für Menschen, die nicht mehr so mobil oder bettlägerig sind.

Das Clarenbachwerk startete ein Pilotprojekt mit ihr zum Sommerfest 2022 – während draußen die Bands spielten, besuchte Melanie Heizmann einzelne Bewohnerinnen und Bewohner in deren „Kammer“ und schenkte ihnen ein kleines Privatkonzert „an der Bettkante“.

Mit einer Musik-Box kommt sie zu etwa 20-minütigen, musikalischen 1:1-Begegnungen vorbei. Die Lieder sind auf die Bewohnerwünsche angepasst: seien es die Comedian Harmonists, alte Volkslieder, Jazz oder saisonal passend. Oft ermöglicht die Musik Gesprächsanlässe und Rückschlüsse auf das Befinden.

Mit ihrem Angebot erreicht Melanie Heizmann selbst Menschen, die durch Demenz ein herausforderndes Verhalten zeigen oder kaum mehr ansprechbar sind. Auch wenn Bewohner im Sterben liegen, weiß sie, was im jeweiligen Moment gefragt ist: Ansprache, die Hand halten, Mut machen – oder ein Lied singen.