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Aus der Pflege

Palliative Care

21. September 2023

Yvonne Krebs, Mitarbeiterin im Anne Frank/Paul Schneider Haus in Braunsfeld, macht sich für einen bewussteren, vorsorgenden und enttabuisierten Umgang mit der eigenen Sterblichkeit stark.

„Wem die Stunde schlägt“ ist der wohl erfolgreichste Roman von Ernest Hemingway aus dem Jahr 1940. Für den Titel des Buches verwendete Hemingway ein Zitat des englischen Dichters John Donne (1572-1631). Ausschnitte des geistlichen Gedichtes Meditation Nr. 17 stellte er dem Buch als Motto voran: „Kein Mensch ist eine Insel, in sich selbst vollständig; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinentes, ein Teil des Festlands; (…) und darum verlange nie zu wissen, wem die (Toten-) Glocke schlägt, sie schlägt dir.“

Jeder Einzelne hat eine Verantwortung, die er innerhalb der Gemeinschaft trägt. An jeden einzelnen Leser und jede Leserin gerichtet, ist er aber auch eine Art moralische Aufforderung von Hemingway oder kann als solche interpretiert werden. Sprechen wir über Tatsachen. Viele sterbenskranke Menschen kommen am Ende ihres Lebensweges – „wenn die Stunde schlägt“ – oft nochmals ins Krankenhaus und versterben dort, zumeist nicht ihrem Wunsch entsprechend. Gemäß einer Erhebung wünschen es sich nur drei Prozent der Bevölkerung, im Krankenhaus zu sterben. In der Realität stirbt aber dort fast jeder Zweite. Schwerstkranke, oftmals hochbetagte Menschen am Lebensende, auf keinen Fall nur aus Heimen, landen als Notfall in der Klinik. In einer Situation, in der man sehr verletzlich und sensibel ist, wo man sich eigentlich gut betreut und versorgt und gut aufgehoben fühlen möchte, landen sie in einer Umgebung mit fremden Menschen, die oft laut, hektisch, unpersönlich, kühl und nüchtern den Betrieb in einer Klinik wiederspiegelt.

Der Umgang mit der letzten Zeit im Leben und das Sterben muss und sollte als gesellschaftliches Thema endlich erkannt und in den Fokus gerückt werden. Viele Menschen werden kurz vor ihrem Tod noch ins Krankenhaus eingeliefert, das ist leider eine Tatsache. Betroffene Schwerkranke und – wenn vorhanden – ihre Angehörigen sind oft nur mangelhaft auf diese Situation vorbereitet.

Im Jahr 2022 gab es eine Umfrage, die belegt, dass rund 45 Prozent der Menschen in Deutschland eine Patientenverfügung haben, diese aber nicht auf den aktuellen gesundheitlichen Zustand angepasst worden ist. Oftmals ist weder den Angehörigen noch dem medizinischen Personal bekannt, dass es eine Patientenverfügung überhaupt gibt oder wo sich diese befindet. Wenn nun ein Notfall eintritt, wird die Gefahr von Übertherapie am Lebensende größer. So werden beispielsweise wesentlich öfter lebensverlängernde Maßnahmen eingesetzt als wenn Kranke noch selbst für sich bestimmen können und ihre Wünsche auch bekannt sind.

Das Thema „In Würde sterben“ bzw. „Mit mehr Würde sterben“ sollte ein Dialog zwischen Jung und Alt, Erkrankten, Angehörigen und Pflegenden sowie Betreuenden sein. Viele Menschen scheuen das Thema bis zum Schluss. Ein klärendes Gespräch an einem guten Tag mit ruhiger Atmosphäre kann mehr Transparenz und Klarheit schaffen. Zudem kann es im Notfall alle Beteiligten deutlich entlasten und Druck herausnehmen.

Dafür gibt es speziell die Palliativpflege. Eine ambulante palliativmedizinische Versorgung kann die Situation deutlich verbessern und unterstützen. Es gibt geschulte Mitarbeiter in der Sterbebegleitung, die vor Ort helfen und begleiten können, sowohl in der Pflege als auch in der Betreuung. Auch ein ehrenamtlicher Hospizdienst kann die Schwerkranken und gegebenenfalls Angehörigen unterstützen und „einfach da sein“, das wertvollste Gut am Lebensende schenken, nämlich Zeit und Geduld. Es gibt schon länger eine Initiative zur Umsetzung der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland und ihrer Handlungsempfehlungen, aber die wenigsten Menschen wissen davon.

Im Rahmen meiner Fortbildung zur Sterbebegleiterin bin ich auf die „Denkdeckel“ des Fachverbandes SAPV (www.fachverband-sapv.de) aufmerksam geworden, die mit konkreten Fragen zum Thema Sterben Denkanstöße geben möchten, um den Dialog zu diesem wichtigen Thema zu fördern. Diese Fragen teile ich gerne mit Ihnen allen.

• Angst vor dem Sterben oder Angst vor dem Tod?
• Mein Wille geschehe … bis zum Tod? Was wünschst Du Dir für den Rest des Lebens?
• Würde leben – Würde finden – in Würde sterben?
• Was will der Kranke, oft hochbetagte Mensch, und was die Angehörigen, wenn vorhanden? Was wünschen wir uns alle?
• Gute letzte Wochen, Tage, Stunden, Minuten …

Entscheidend ist, dass wir gemeinsam über dieses wichtige Thema sprechen und zusammen in den Dialog treten. Das Thema Sterben nicht länger als Tabu betrachten, damit wir als Menschen, „wenn die Stunde schlägt“ möglichst mit Ruhe, Würde und in guter Atmosphäre gehen dürfen.

Yvonne Krebs, Betreuungsassistentin in Braunsfeld