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Hauszeitschrift

Lebensbilder Teil 3

15. Januar 2024

(„Bauernhof & Frisiersalon“ – Auszug aus der Biografie von Gertrud Reuter)

Geboren bin ich 1929 in Köln, aber meine prägendste Zeit hatte ich wohl in den mit Unterbrechungen insgesamt sieben Jahren Kinderlandverschickung, die ich in Mittelfranken in der Nähe von Feuchtwangen mitgemacht habe. 1939 bin ich mit meiner Schwester, die ein Jahr älter als ich war, zuerst dorthin verschickt worden. Ich landete auf einem Bauernhof im winzigen Weiler Metzlesberg, meine Schwester kam auf einen anderen Bauernhof ein paar Orte weiter. Ich weiß noch, dass ich die Leute mit ihrem fränkischen Dialekt anfangs kaum verstanden habe. Nach ein paar Jahren allerdings habe ich genauso gesprochen und konnte kein Kölsch mehr.

Anfangs hatte ich noch Heimweh, aber anders als meine Schwester, die nach einem halben Jahr wieder zurück gegangen ist, habe ich mich durchgebissen und bin immer mehr mit der Umgebung und den Leuten warm geworden. Die Bauersleute auf dem großen Hof waren nachher fast so eine Art Familie für mich und hätten mich sogar gerne adoptiert, weil sie keine eigenen Kinder bekommen konnten. Aber das wollte meine Mutter nicht und hat mich dann 1946, obwohl ich lieber dableiben wollte, endgültig wieder zurück nach Köln geholt. Mein Vater, der Kaminbauer war, ist im Krieg gefallen, kurz nachdem er mich das einzige Mal in Franken besucht hatte.

Mein Alltag war dort mit vielen Aufgaben ausgefüllt. In aller Frühe hatte ich morgens die Kühe zu melken, danach ging es dann fünf Kilometer zu Fuß zur Schule nach Feuchtwangen, in der ich dann den Lehrern sogar oft noch geholfen habe, die Grundschulklassen mit zu betreuen. Nach der Schule traf man sich dann zum Mittagessen auf dem Hof, wo die Lehrlinge und später auch polnische Zwangsarbeiter am großen Tisch saßen, und anschließend musste man oft die schwere Feldarbeit verrichten, wie z. B. Getreide auf Bündel packen, Unkraut jäten oder das Heu wenden. Abends ist man dann meistens hundemüde ins Bett gefallen. Trotz der anstrengenden Arbeit habe ich mich dort aber sehr wohlgefühlt. Ich wollte wahrscheinlich beweisen, dass ich kein verwöhntes Stadtkind bin. (…)

Nachdem meine Mutter mich nach Köln zurückgeholt hatte, sollte ich unbedingt eine Lehre anfangen. Mit mir zusammen ging sie durch das noch immer stark zerbombte Deutz und Mülheim und schleppte mich von einem Handwerksbetrieb zum nächsten. Schließlich landete ich bei einem Bäckerladen, wo ich dann drei Jahre in der Lehre war. Ich musste Brötchen in Mülheim austragen und neben der normalen Bäckerarbeit auch noch den Haushalt und die Backstube meiner Arbeitgeber sauber halten. Genau genommen bin ich dort ziemlich ausgenutzt worden. 

Zum Glück habe ich anschließend aber eine ganz nette Stelle in einer schönen Konditorei in der Ehrenstraße bekommen. Damals habe ich noch in Dünnwald bei meiner Mutter gewohnt und bin die lange Strecke zur Arbeit mit dem Fahrrad gefahren. Ich weiß noch, dass mein Monatsgehalt damals 30 DM betrug. Davon habe ich allerdings so gut wie gar nichts gesehen, denn ich musste das Geld meiner Mutter abgeben.

Anfang der 50er-Jahre habe ich schließlich am Tanzbrunnen meinen späteren Mann kennengelernt. Ich war mit meiner Freundin dort und während Caterina Valente „Ganz Paris träumt von der Liebe“ sang, haben wir zwei gutaussehende Friseure getroffen, von denen einer dann mein Mann wurde. Geheiratet haben wir im Februar 1954 in der Antoniterkirche, wo seit kurzem auch der schöne Barlach-Engel hing. (…) 

1959 haben wir dann unsere Tochter Jeannette bekommen, mit der wir viele Bootsausflüge und Reisen unternommen haben. Segeln war das große Hobby meines Mannes, das ich lange Zeit auch gerne mitgemacht habe. Anfangs fingen wir noch ganz harmlos mit einem Paddelboot an. Aber daraus wurde dann bald ein kleines Segelboot und irgendwann ein größeres Segelboot. Ich weiß noch, wie wir uns, nachdem wir beide den Segelschein für Binnensegelboote gemacht hatten, schon wie Hochseekapitäne gefühlt haben. (…) 

Aber bei meinem Mann ging das schließlich soweit, dass er mehr ans Segeln als an die Arbeit gedacht hat. Eines Tages kam er dann sogar mit einem Katamaran um die Ecke. Schon bei der Jungfernfahrt kenterte das dumme Ding, machte kurz mal „Gluck, gluck“ und wurde zum Unterseeboot. Währenddessen war ich unter Deck, wo das Wasser mir ruckzuck am Hals stand und ich die Tür von innen wegen des starken Drucks nicht mehr aufbekam. Hätte meine Tochter nicht von außen die Tür geöffnet und mich gerettet, dann wäre ich im eigenen Boot ertrunken. (…)

Mein Mann arbeitete in einem Frisiersalon im Kölner Hauptbahnhof. Davon war ich anfangs sehr beeindruckt. Er hat mich schließlich auch davon überzeugt, dass es für mich wohl ebenfalls das Beste sei, auf den Friseur-Beruf umzusteigen. Dann könne man ja auch vielleicht mal einen gemeinsamen Salon betreiben. Und so habe ich dann nochmal eine Lehre gemacht, obwohl ich damals bestimmt die Älteste in der Berufsschule war. 

Aber es hat mir schon auch Spaß gemacht. Vor allem mit Chemie, zum Beispiel mit den verschiedenen Mixturen für Haartönungen, habe ich mich sehr gerne beschäftigt. 1961 eröffneten mein Mann und ich dann einen gemeinsamen Frisiersalon im Westbahnhof. (…) Als sich mein Mann 1973 beruflich verändert hat, führte ich schließlich den Salon alleine. Dann ergab sich durch meine Schwester das Angebot beim Kaufhaus der Domstädter am Eigelstein eine Parfümabteilung zu leiten. Dafür habe ich auch ohne weiteres meinen eigenen Laden am Westbahnhof aufgegeben. Leider hielt diese schöne Stelle nur ein Jahr lang, dann hieß es plötzlich, das Kaufhaus macht dicht. 

Anfang der Achtzigerjahre war wirklich keine gute Zeit für mich. Unsere Ehe ging den Bach runter und dann war auch plötzlich noch die Arbeit weg. Ich weiß noch, wie ich damals am Brüsseler Platz wohnte und quasi mit dem letzten Geld abends in ein Lokal ging, wo ein alter Bekannter aufkreuzte, der von einem gerade freigewordenen Friseursalon in Ossendorf berichtet hat. So habe ich damals mit über 50 wieder ganz bei null angefangen.

Letztendlich habe ich dort in der Iltisstraße, wo ich dann auch gewohnt habe, bis 74 Jahre gearbeitet. Reich konnte ich damit zwar nicht werden. Aber immerhin habe ich mich finanziell so einigermaßen über Wasser halten können und war auch froh, mein eigener Chef zu sein. (…) 

Einige Jahre habe ich dann noch meinen Ruhestand in den eigenen vier Wänden genießen können. Aus gesundheitlichen Gründen bin ich dann aber irgendwann doch lieber ins Heinrich Püschel Haus gezogen.