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Hauszeitschrift

Lebensbilder Teil 1

03. Januar 2024

(„Offen für alles Neue“ – Auszug aus der Biografie von Inge Jost)

Geboren bin ich Silvester 1925, aufgewachsen überwiegend in Köln-Brück. Dort habe ich von 9 bis 23 Jahren gelebt. Vorher wohnten wir in Thielenbruch, bis sich dann meine Eltern 1935 ein Haus mit Garten am Ortsrand von Brück im Rinderweg geleistet haben. Sehr ländlich war es dort noch zu der Zeit. Fast jeder kannte jeden. 

Das Foto hier ist beim Tante-Emma-Laden im Rinderweg/Ecke Olpener Straße entstanden. Ich weiß noch, wie der Besitzer sagte: „Stellt euch doch mal auf, dann mache ich ein Bild von euch! Ihr seht so hübsch aus mit euren Sachen!“ (…)

Im Sommer ging man gerne ins Schwimmbad im Milchborntal bei Bensberg zum Baden, im Winter bin ich mit Vergnügen Schlittschuh gefahren, zum Beispiel auf der Mielenforster Wiese, die man dafür extra unter Wasser gesetzt hatte. Weil Brück keine Industrie hatte und weit weg vom Kölner Zentrum lag, haben wir wohl auch keine Bombentreffer dort abbekommen. Zwar sind wir bei Bombenalarm auch wie alle anderen Kölner nachts in den Keller gerannt, aber zum Glück ist uns dann nie was Schlimmeres passiert. (…)

Aus Kaninchenfell hat meine Mutter allerlei Sachen zum Anziehen gegerbt und genäht. Ich weiß noch wie ich in der Tanzstunde 1942, wo man langsam dem anderen Geschlecht näherkam, etwas Selbstgemachtes aus Kaninchenfell trug, das dann aber leider furchtbar haarte. Das war bei weitem nicht so romantisch, wie der langsame Walzer und das Lied „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein!“ (…)

Die sogenannten Jungmädel waren damals für die Mädchen von 10 bis 14 Jahren eingerichtet, von 14 bis 17 Jahren gab es dann den Bund deutscher Mädel, kurz BDM genannt. Damit ich nicht in der Nachfolgeorganisation der jungen Frauen mitmachen musste, wo es schon viel politischer im Nazi-Sinne zuging, habe ich mich entschlossen, im Rahmen vom BDM bei der Organisation von Kinderlandverschickungen unserer Kölner Schule mitzuwirken. August 1943 kamen wir teilweise in ein KLV-Lager für Jungmädel nach Nideggen, zumindest bis der Krieg durch die alliierten Soldaten auch die Eifel erreichte. September 1944 wurden wir dann nach St. Joachimsthal ins Sudetenland gebracht und blieben dort bis Kriegsende. 

Der Alltag der Kinderlandverschickung lief ähnlich wie der normale Schulbetrieb ab, allerdings mit noch mehr Sport und Basteleien. (…) Am Wochenende haben uns auch die Angehörigen oder Freundinnen besucht, zumindest in Nideggen klappte das noch. Im fernen Sudetenland allerdings war das Heimweh groß und viele Briefe wurden an die Eltern oder Freunde geschrieben. 

Als der Krieg zu Ende war, muss man sagen, dass uns die Tschechen in St. Joachimsthal aber sehr gut behandelt und uns ausreichend Essen gegönnt haben. Bald schon ging es dann für uns in einer Tagesreise über Eger zu einem Schulquartier nach Naumburg an der Saale, wo zuerst noch die Amerikaner waren, die uns tüchtig aufgepäppelt haben, sodass wir wie Hefeklöße aufgingen. Zwischendurch kamen wir auch an russischen Kolonnen vorbei, die wir auf keinen Fall anschauen sollten. Das hatte man uns nämlich kurz vorher eingebläut, denn damit hätte man sie bloß auf uns junge Mädchen aufmerksam gemacht. Als die Besatzungszonen schließlich umverteilt worden sind und die Russen nach Naumburg kommen sollten, sind wir schnellstmöglich mit einem Güterzug tagelang quer durch Deutschland nach Köln gefahren. 

Zuhause in Köln-Brück traf ich auf meine Mutter und meinen kleinen Bruder, die ebenso wie unser Haus unversehrt waren. Mein Vater musste noch eine Weile als Dolmetscher für die Englän-der in Friedland arbeiten, kam aber schließlich auch ohne körperliche Schäden aus dem Krieg zurück. Wir hatten wirklich sehr großes Glück gehabt!

Wir waren schon eine Weile verlobt, aber geheiratet haben mein Mann Hans und ich erst im Dezember 1950, denn da konnten wir in eine kleine gemeinsame Wohnung in Köln-Braunsfeld am Pauli-Platz einziehen. Deswegen fand unsere Hochzeit im Schnee und auch nur im engsten Familienkreis statt. Wegen des heftigen Schneefalls kam es zu einigen Verspätungen und ich weiß noch, wie mir mein Vater zur Beruhigung einen Cognac eingeschenkt hat. Wir bekamen so manche mehr oder weniger praktischen Geschenke, die wir allesamt in ein Taxi luden, das uns nach der Hochzeit in die neue Wohnung bringen sollte. Allerdings war in Anbetracht der sperrigen Geschenke bloß noch Platz für eine Person und so ist mein Mann, der sechs Jahre älter war, dann mit der Straßenbahn nachgekommen. Unsere Ehe hat 65 Jahre gehalten, also bis zum Tode meines Mannes, der immerhin 95 Jahre werden durfte. (…)

Wir hatten damals nach dem Krieg und den ersten armen Nachkriegsjahren einen gewaltigen Lebenshunger, haben viel mit gemeinsamen Freunden in Köln gefeiert, sind mit dem Motorroller mit Sack und Pack tagelang zum Zelten am Rursee in die Eifel gefahren und haben uns damit sogar bis an die französische Riviera gewagt. Später sind wir dann auch mit dem Auto oder dem Flieger in anderen Teilen Europas gewesen. Was hatten wir einen Spaß, neue Orte, neues Essen und Trinken und neue Menschen kennenzulernen! Auf unseren Reisen sind uns viele nette Leute begegnet, aus einigen dieser Kontakte haben sich sogar echte Freundschaften entwickelt, die teilweise bis heute gehalten haben.

1961 wurde unsere Tochter Katrin geboren. Das hat unser Leben nochmal ganz besonders verändert und bereichert. Auch wenn es unser einziges Kind blieb, wollten wir es auf keinen Fall zu einem Prinzesschen, sondern zu einer starken eigenständigen Persönlichkeit erziehen. Ich denke, das ist auch prima gelungen! 

In den Siebziger-Jahren habe ich Katrin, die damals wohl so 13/14 Jahre gewesen sein muss, bei einem Schulaustausch, den ich mit organisiert hatte, in die USA begleitet. Während sie in einem Basketball-Camp in Pennsylvania war, habe ich bei Freunden in Buffalo gewohnt und von dort aus immer mal wieder verschiedene Touren unternommen wie zum Beispiel zu den Niagara-Fällen. Mir dröhnt heute noch das laut donnernde Wasser im Ohr. Aber auch das interessante Toronto in Kanada haben wir damals besucht und sogar das seinerzeit noch sehr verrufene New York, vor dem uns Freunde und sogar Katrins Gasteltern im Vorfeld eindringlich gewarnt hatten. (…)

1971 sind wir von Weiden nach Porz-Ensen gezogen. Dort haben wir das mittlere von drei, damals ganz neu entstandenen, in den Hang gebauten Häusern mit tollem Rheinblick erworben. Wir haben dort unglaublich gerne gelebt. Es war immer ganz wunderbar, von der geräumigen Küche aus auf den Fluss zu schauen, wenn man gerade kochte oder spülte oder, was auch nicht so selten vorkam, beim guten Wein mit Freunden zusammensaß. Wir haben dort von 1971 bis 2018 verbracht, also einen Großteil unseres Lebens. Bis zum Tode meines Mannes. (…)

Anfang der Siebzigerjahre, ich glaube 1973, haben wir uns ein kleines Häuschen in Holland gegönnt. Genauer gesagt in Oostkapelle, in der Provinz Zeeland, das damals noch eine kaum touristische und sehr ärmliche Ecke von Holland war. Kein Vergleich zu heute! Unser gemütliches Domizil war die Hälfte eines Doppelhauses aus dem dort so typischen roten Backstein. (…) Mehr und mehr konnte ich mich auch mit den Nachbarn unterhalten und bald waren wir zum Glück bestens in der Dorfgemeinschaft integriert. Oostkapelle ist fast zu einer zweiten Heimat für uns geworden. (…) Eine der schönsten Begleiterscheinungen beim Reisen ist ja vor allem, dass man seinen Horizont erweitert. Das gilt selbstverständlich auch für die Küche. Ich kann mich noch erinnern wie wir zum ersten Mal Zucchinis, Avocados oder Auberginen und das Kochen und Braten mit Olivenöl und Knoblauch kennengelernt haben. Wie toll das gerochen und geschmeckt hat! (…)

Als ich 2018 ins Haus Deckstein kam, musste ich mich erstmal an das ganz andere Leben als im häuslichen Umfeld gewöhnen. Da ich immer ein kontaktfreudiger und geselliger Mensch war, der gerne auch etwas Neues ausprobiert, habe ich nicht lange gezögert, als man Teilnehmer für ein Tanz- und Videoprojekt einer sympathischen jungen Choreografin gesucht hat. (…) Ich weiß noch, wie ich eine grelle Perücke aufgesetzt bekam und ein bunter Konfetti-Regen auf mich niederging. Das war ein schöner Moment!