Hauszeitschrift
Lebensbilder FKH Teil 6
20. Januar 2025
(„Wasser und viel Hip Hop“ – Auszug aus der Biografie von Gülşen Inan)
Mein Name ist Gülşen Inan, geboren bin ich 1981 in Köln. Auf dem Bild sieht man mich mit meinen Eltern und meinen beiden Schwestern. Müjgan, ganz rechts, ist 10 Jahre älter und Deniz, vor meinem Papa, ist 8 Jahre älter als ich. Gewohnt haben wir in Porz-Ensen, wo es für Kölner Verhältnisse noch relativ dörflich zugeht. Der Rhein war nur einen Steinwurf entfernt und ich habe schon als Kind den Blick aufs Wasser geliebt, das beruhigt mich … auch heute noch.
Meine Eltern stammen aus der Türkei, lernten sich in Istanbul kennen und heirateten dort. 1975 haben sie sich wegen der deutlich besseren Arbeitsmöglichkeiten für Deutschland entschieden, genauer gesagt für Porz, wohin auch schon ein paar ihrer Freunde ausgewandert waren. Mein Vater hat auch sofort eine Stelle in einer Glasfabrik bekommen.
Meine Mutter kümmerte sich um die Kinder und um den Haushalt in der kleinen 2-Zimmer-Wohnung. Eigentlich hatten meine Eltern den Plan, nach einigen Jahren wieder in die Türkei zurückzukehren, aber wegen meiner angeborenen Behinderung sind sie dann doch in Deutschland geblieben. Hier gab es einfach eine viel bessere Betreuung und medizinische Versorgung. In der Türkei wurden Behinderte damals oft noch vor der Öffentlichkeit versteckt und auf der Straße wie Außerirdische angeschaut. Das hat sich heutzutage aber zum Glück sehr verändert … Wegen meiner Glasknochen-Krankheit war ich schon als Kleinkind ein ganzes Jahr im Krankenhaus, außerdem habe ich auch einen speziellen Kindergarten in der Kölner Uniklinik besucht. (…)
Obwohl die Ärzte mir wegen meiner Glasknochen keine große Lebenserwartung gaben, hat sie mich mit viel Liebe und fast genauso viel Möhrensaft aufgepäppelt. Meine Eltern haben durch Nachbarn und Freunde so nach und nach Deutsch gelernt. Wir Schwestern waren damit natürlich durch die Schule schon von Anfang an vertraut. Meine ältere Schwester hat auch kräftig bei der Erziehung mitgeholfen und konnte mir oft bei den Hausaufgaben helfen. Mit dem großen Altersunterschied war sie ja auch fast schon wie eine zweite Mutter für mich und hat mich bestimmt auch stark beeinflusst. In vielen Dingen sind wir uns sehr ähnlich, wir lieben beide zum Beispiel das Lesen und mögen es gerne ruhig.
Als Kind habe ich Bücher wie „Momo“ oder „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende verschlungen oder auch die Hanni und Nanni-Reihe oder die Donald Duck-Comics. Stundenlang saß ich oft in der Porzer Bibliothek und bin völlig in den Geschichten abgetaucht. Später habe ich dann auch viele türkische Bücher und Krimis gelesen. Ich bin immer noch ein absoluter Bücherwurm, wenn auch nicht mehr ganz so krass wie früher als Kind oder Jugendliche. Dafür sorgen schon die vielen spannenden Netflix-Serien oder das Internet, das ja oft ein echter Zeitfresser ist. Müjgan schreibt übrigens ganz tolle Gedichte und arbeitet heute als Bürokauffrau. Kein Wunder, dass ich mich nach der Schule dann ebenfalls in diese Richtung orientiert habe.
In Heimbach-Weiß bei Neuwied habe ich nach meiner Handelsschule in Aachen eine dreijährige Ausbildung zur Bürokraft gemacht, dazu gehörte unter anderem auch ein Praktikum in einer Physiotherapie-Praxis. Das hat mir ziemlich viel gebracht, da habe ich zum Beispiel gelernt, mit Excel Termin-Vereinbarungen zu erstellen. Ich könnte mir auch heute noch gut vorstellen, trotz meiner pflegeintensiven Krankheit zumindest halbtags im Home-Office zu arbeiten. Den nötigen Computer und die Kenntnisse hätte ich jedenfalls dafür.
Nach dem Kindergarten bin ich auf eine Schule für Körperbehinderte in Rösrath gegangen. Die Schulzeit war extrem prägend für mich und zum Glück gibt es auch immer noch gute Kontakte zu ehemaligen Klassenkameraden, wie zum Beispiel zu meinem guten Freund Stefan auf dem Bild rechts, mit dem ich mich immer mal wieder in der Stadt treffen oder zum Beispiel auch über die Weihnachtsmärkte streifen kann. (…)
Wir hatten damals in Rösrath eine ziemlich kleine Klasse mit 10 Schülern und eine ganz tolle Lehrerin namens Frau Beyer, die inzwischen leider schon verstorben ist. Die Schule ging von morgens bis nachmittags. Mein Lieblingsfach war Deutsch, aber Türkisch und Englisch habe ich auch sehr gerne gemacht. (…)
Danach bin ich dann in ein Internat nach Aachen, um dort die Handelsschule zu absolvieren. Gottseidank sind da auch ein paar alte Klassenkameraden mitgekommen, dadurch war das Heimweh etwas leichter zu ertragen.
Meine beste Freundin Zekiye kenne ich schon seit Kinderzeiten. Sie ist als Nachbarskind genau wie ich in Porz-Ensen aufgewachsen und mit ihr verbinden mich viele gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen. Unser Haus war eigentlich immer offen für Freunde und Nachbarn, und weil wir beide ähnliche Interessen hatten, haben wir uns dann immer mehr angefreundet. (…)
Als unsere Freundin Zekiye vor etwa acht Jahren in einem gemieteten Saal in Bickendorf ihre Hochzeit gefeiert hat, haben wir Schwestern uns natürlich alle super schick machen lassen. Das gehört sich nun mal so für eine türkische Hochzeit, genauso wie ganz viel Musik und Tanz und reichlich Essen, das natürlich vom Allerfeinsten war. In Ehrenfeld und in Mülheim bekommt man übrigens das beste türkische Essen in Köln, auch wenn die Auswahl natürlich längst nicht so groß wie in meiner Lieblingsstadt Istanbul ist. Wer aber mal halbwegs authentische, richtig leckere türkische Küche in Köln probieren möchte, dem empfehle ich das „Miss Stambul“ an der Ecke Venloer Straße/Gürtel, das Kudret Kebap House in der Venloer Straße zwischen Wahlenstraße und Körnerstraße oder das Doy Doy in der Keupstraße in Mülheim.
Neben Lesen war Musikhören schon seit Kinderzeiten mein großes Hobby. In unserer Familie gehörte Musik immer schon zum Alltag. (…) In den 90er-Jahren bin ich über Soul dann auch irgendwann zu Hip Hop gekommen und so auch zum Fan der Hip Hop-Band „Bone, Thugs & Harmony“ geworden. Ihr großer Hit war damals der Song „Crossroads“. Über eine Facebook-Fanseite habe ich so nach und nach immer mehr Kontakt zu der Band bekommen … ich habe zahlreiche Kommentare geschrieben und netterweise sind sie auch von ihnen beantwortet worden, das ist leider nicht selbstverständlich.
Als sie dann vor sechs Jahren in Neuss aufgetreten sind, ist es mir gelungen durch die Vermittlung eines Bekannten mit VIP-Pass zum Konzert von den Jungs zu kommen und sie darüber hinaus auch noch kennenzulernen. Der ganze Tag war wie ein wunderbarer Traum! Mit Begleitung bin ich von Köln nach Neuss gefahren und hatte schon vor dem Konzert starkes Herzklopfen.
Crazy Bone, einer der Band-Mitglieder, hat sich sogar nach dem Auftritt backstage noch die Zeit für ein Gespräch mit mir genommen. Durch den Facebook-Kontakt hat er mich auch sofort erkannt! Ich habe all meine Englisch-Kenntnisse zusammengekratzt, um irgendwas Sinnvolles zu sagen. Crazy Bone hat die Unterhaltung aber ganz locker und leicht gemacht, sodass meine Aufregung zum Glück schnell verflogen war. Er ist wirklich ein total herzlicher Typ, kein bisschen abgehoben. Danach habe ich die Band auch noch in der Essigfabrik in Köln-Poll gesehen, das war auch ein cooler Auftritt.
Überhaupt liebe ich es Konzerte zu besuchen. Das muss auch nicht immer Hip Hop sein … Unter anderem habe ich auch schon Justin Timberlake oder Tarkan in der Lanxess-Arena erlebt … oder Pink, die hier im Stadion richtig super performt hat. Die Refrains habe ich dann natürlich auch mitgesungen, von Christina Aguilera kenne ich sogar viele Lieder auswendig …
In Istanbul geht mir eigentlich immer das Herz auf. An grauen Wintertagen in Köln freue ich mich oft schon auf die leider viel zu kurze Zeit in meiner Lieblingsstadt, wo wir mindestens einmal im Jahr für ein oder zwei Wochen hinreisen. Viele Verwandte von uns leben dort, auf den nachfolgenden Fotos sieht man zum Beispiel zwei Cousinen von mir und eine meiner Schwestern. Seitdem mein Vater in Istanbul beerdigt ist, gibt es für uns noch einen weiteren Grund, so oft wie möglich dort zu sein. (…)
Wenn wir in Istanbul sind, dann treffen wir immer Verwandte, wie zum Beispiel meinen Cousin bzw. eine Cousine und ihren Mann. Dieses Café mit tollem Blick auf das Marmara-Meer ist übrigens gar nicht weit von Vaters Grab entfernt. Die Zeit in Istanbul ist für mich auf jeden Fall die schönste Zeit des Jahres. Ich liebe es einfach, dort im Kreis der Familie verschiedene Verwandte zu treffen oder auch durch die ganz unterschiedlichen Viertel dieser Stadt zu streifen, wundervolle Moscheen, Paläste oder Museen zu besichtigen und das spannende Leben auf der Straße zu beobachten, während von irgendwoher immer ein Muezzin ruft. (…)
Wie eine Schwester ist auch meine Kölner Cousine Cemile für mich. Vielleicht fliegen wir eines Tages mal zusammen in die Türkei – das wäre schön! Aber auch in Köln haben wir schöne Zeiten, und es macht immer wieder Spaß, etwas gemeinsam mit ihr zu unternehmen. (…)
Wenn ich etwas mehr Zeit zur Verfügung habe und die Tage wieder länger werden, fahre ich auch gerne mit der barrierefreien Linie 1 zum Rhein. Der ist natürlich noch viel spannender als so ein kleines Gewässer wie der Adenauerweiher und erinnert mich an meine alte Heimat in Porz-Ensen. Da haben wir mit unserer Familie oder mit Freunden auch unzählige Ausflüge zum Rhein unternommen. (…)
Wenn man das Wasser so liebt wie ich, dann wird man in meiner Traumstadt Istanbul natürlich ganz besonders belohnt. Dort hat man den Luxus, direkt zwei riesengroße Gewässer zu haben, das Marmara-Meer und das Ägäische Meer. Und das Schwarze Meer ist auch nicht mehr weit weg. Habe ich übrigens schon erwähnt, dass ich hier regelmäßig zum Schwimmen gehe und auch das Sternzeichen Fische habe? Das passt jedenfalls perfekt zu mir, denn Wasser ist genau mein Element.
Der vollständige Beitrag – und noch weitere lesenswerte Biografien der Bewohnerinnen und Bewohner – im Band „Lebensbilder“ aus dem Frida Kahlo Haus. Das Buch ist – gegen eine Spende in beliebiger Höhe für eine Rollstuhl-Rikscha – erhältlich unter bzw. Tel. 0221-4985-220.