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Gesellschaft

Ein Jahr generalistische Pflegeausbildung

09. Dezember 2021

Bei der einheitlichen Ausbildung in Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege erwerben die examinierten Pflegefachleute nach drei Jahren einen EU-weit anerkannten Abschluss und können in allen Pflegebereichen arbeiten. Der Leiter unserer Pflegeschule, Klaus Strimmer, hat die generalistische Ausbildung vor einem Jahr eingeführt und ist davon überzeugt: „Es ergibt sich ein breitgefächerteres und noch professionelleres Berufsbild, was den Pflegeberuf insgesamt aufwertet.“ Die angehenden Pflegefachkräfte schließen ihren Ausbildungsvertrag zwar mit einem Träger aus einem der drei Pflegebereiche. Während der drei Jahre durchlaufen sie aber Praxisphasen in der ambulanten und stationären Altenpflege, in Krankenhäusern, Reha-Kliniken, psychiatrischen Einrichtungen und im Kinderpflegebereich.
Verschiedentlich wurde die Sorge laut, dass Auszubildende in andere Bereiche „abwandern“ könnten. Klaus Strimmer teilt diese Sorge nicht: „Wir wollen unseren Auszubildenden bewusst alle Möglichkeiten offen lassen. Durch die neue Ausbildung können sie vielfältige Erfahrungen sammeln und anschließend noch Zusatzabschlüsse machen. Die Säuglingspflege erfordert zum Beispiel eine zweijährige Weiterbildung.“ Die Auszubildenden könnten genauer herausfinden, welcher Bereich ihnen wirklich liegt, und entschieden sich dann umso bewusster für die Altenpflege, das Krankenhaus oder die Arbeit mit Kindern.

Die fünf Auszubildenden, die hier zu Wort kommen, kamen über die unterschiedlichsten Wege zur Generalistik. Je nach Persönlichkeit und Herangehensweise empfinden sie die Pflegebereiche anders und berichten über die Vorteile, die sich aus ihrer Sicht jeweils ergeben.


David Robertz

David ist 24 Jahre und macht seine Ausbildung beim ambulanten Pflegedienst Sonnenuhr in Porz.

Über meinen Vater kam ich zunächst zu einer Ausbildung als Elektroniker für Betriebstechnik und wollte parallel mein Fachabitur machen. Allerdings hatte ich versäumt mich vorher zu fragen: Was könnte mir Spaß machen, was liegt mir? Schließlich habe ich die Ausbildung noch vor der Prüfung abgebrochen, weil ich nicht mit Herzblut dabei war. Mir haben Intuition und Kreativität gefehlt.
Von Freunden hatte ich gehört, dass sie in der Pflege tätig sind, in Altenheimen oder im Krankenhaus. Am Anfang war ich skeptisch: Ist das nicht nur „Hinternabwischen“? Ich wollte aber herausfinden, was genau dahinter steckt und habe selbst ein Praktikum gemacht. Da ich ein empathischer und sozialer Mensch bin, habe ich schnell festgestellt, dass mir Pflege ultraviel Spaß macht: Die medizinischen Hintergründe, zu verstehen, was im Körper, in der Psyche und im Geist abgeht. Und auch einfach Menschen zu helfen.
Nach dem Praktikum habe ich fünf Monate als ungelernter Pflegehelfer gearbeitet und wurde gefragt, ob ich nicht eine Ausbildung in der Generalistik machen wollte. Ich habe mich dann über die Vor- und Nachteile informiert. Manche Dinge laufen vielleicht noch nicht so rund, aber das Konzept – die Wahlfreiheit zwischen Altenpflege, Krankenpflege und mit einer Weiterbildung auch in der Kinderkrankenpflege – hat mich überzeugt.
Neben dem ambulanten Pflegedienst habe ich nun auch die stationäre Altenpflege kennengelernt. Das war schön, aber der ambulante Dienst liegt mir mehr. Mal schauen, was Krankenhaus und Kinderpflege bringen. Dieser mehrfache Arbeitsplatzwechsel ist zwar stressig, aber auch bereichernd. Wann sieht man schon mal eine Kinderklinik?
Ich finde es wichtig zu vermitteln, was bedeutet das eigentlich: Ich pflege eine Person. Pflegefachkraft zu sein. Viele glauben ja, Pflegekräfte hetzen durch den Tag und bringen einfach die Leute ins Bett. Sie können nicht differenzieren, weil man draußen zu wenig über diesen Beruf hört. Der Job ist anstrengend, ja, aber viele wichtige Arbeiten und Hintergründe – das Dokumentieren, anatomische und medizinische Kenntnisse, psychologische Aspekte – werden oft vergessen. Auch die neue generalistische Ausbildung kennen viele noch gar nicht.
Das Schönste an unserer Arbeit ist sicherlich die Dankbarkeit, die man zurückbekommt. Es sind ja nicht immer leichte Aufgaben: Wenn man zum Beispiel weiß, dass jemand bald stirbt und man ihn die letzte Zeit begleitet. Ich habe schon erlebt, dass ein Patient zehn Minuten nachdem ich ging starb. Meine Kollegin und ich hatten das schon geahnt und den Palliativdienst angerufen. Die Familie war uns dafür sehr dankbar.
Ich kenne das selbst als Angehöriger: Meine Oma ist letztes Jahr an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Sie hatte nur drei Monate bis zu ihrem Tod, aber der Palliativdienst war immer für sie da. Was ich aus dieser Perspektive erlebt habe, möchte ich auch an andere weitergeben.


Oumaima Mabrouk

Oumaima ist 22 Jahre alt und macht ihre Ausbildung im Haus Andreas im Clarenbachwerk.

Vor zweieinhalb Jahren bin ich aus Marokko nach Deutschland gekommen, um ein Jahr als Aupair zu arbeiten. Anschließend habe ich ein Praktikum in der Pflege gemacht, da ich schon meinen Großvater bis zu seinem Tod gepflegt habe. Im Clarenbachwerk waren die Leute sehr nett und lustig, ich habe viel mit den Bewohnern gespielt und mich mit ihnen unterhalten, selbst mit den dementen. Praktika zu machen halte ich für sehr wichtig – man erfährt sonst nicht, was dieser Beruf alles bietet.
So kam ich zu der Ausbildung. Zunächst wusste ich gar nicht, dass in der Generalistik mehr medizinische Kenntnisse vermittelt werden. Es passte aber sehr gut für mich, da mein Vater auch Arzt ist. Infusion, Injektion, all das können wir lernen. Trotzdem hat mir die Arbeit im Krankenhaus nicht so gefallen: dort sind eher jüngere Patienten, die kommen und gehen. In der ambulanten Pflege immer mit dem Auto unterwegs zu sein, ist auch nicht meine Sache. Ich bin ein Familienmensch – ich finde es gut, mit alten Leuten den Tag im Heim zu verbringen.
Unsere Bewohnerinnen und Bewohner brauchen nicht nur medizinische Anwendungen und Pflege, sondern auch Gefühl und Liebe. Sie haben viel erlebt, zum Beispiel den Krieg, und sie brauchen eine Art Familienatmosphäre. Wenn ich ihnen eine Geschichte erzähle, vergessen sie oft, dass ich sie wasche, und schämen sich nicht vor mir. Deshalb möchte ich eine Beziehung zu den alten Menschen aufbauen. Wenn sie glücklich sind, fühle ich mich selbst gut. Was ich außerdem gut finde: Sie korrigieren mein Deutsch sofort! Und sie erzählen viel von früher, man bekommt einfach mehr Informationen von alten Leuten.
Ich bin ein Mensch, der immer einen Plan haben muss – dann gehe ich darauf los. Ich will auf jeden Fall hier in Deutschland bleiben und im Altenheim arbeiten, später noch eine Weiterbildung machen. Dieses Ziel hat sich aus der Corona-Pandemie ergeben: Einmal waren fast alle Mitarbeiter krank – nur die Einrichtungsleiterin, der Pflegedienstleiter, eine weitere Schülerin und ich waren noch da. Gemeinsam haben wir alles geschafft! Seitdem möchte ich selbst Richtung Einrichtungsleitung gehen.


Boris Saremba

Boris ist 51 Jahre und macht seine Ausbildung im Frida Kahlo Haus im Clarenbachwerk.

Vor dieser Ausbildung habe ich 15 Jahre bei einer Umzugsspedition gearbeitet. Ich war viel unterwegs und intensiv in Kontakt mit verschiedenen Menschen, teilweise in recht persönlichen Situationen. Das hat mir gefallen. Allerdings habe ich schon länger darüber nachgedacht, welchen Beruf ich bis zur Rente ausüben könnte. Zur Pflege hatte ich einen Bezug, da in meiner Familie Ärzte und Pflegekräfte sind und ich Zivildienst geleistet habe.
Auf eine Zeitungsanzeige hin habe ich mich im Clarenbachwerk beworben und zunächst ein zweiwöchiges Praktikum im Frida Kahlo Haus gemacht – mein erster Praxiseinsatz. Von der Generalistik hatte ich noch nicht viel gehört, fand es aber reizvoll, das eigene Spektrum durch die verschiedenen Einblicke zu erweitern. Leider fällt die Pädiatrie etwas hinten runter, weil sie vom Gesetzgeber zusammengestrichen wurde und für die vielen Auszubildenden Plätze fehlen. Daher wird jetzt schon bei Kinderärzten, in Kitas und Inklusionsschulen gesucht.
Momentan denke ich eher nicht daran, mit Kindern zu arbeiten – aber wer weiß, wie das nach der praktischen Erfahrung aussieht. Im Krankenhaus ist das Arbeiten ganz anders als in der stationären Langzeitpflege – ob es mir besser oder weniger gut gefällt, kann ich noch nicht sagen. Im Krankenhaus habe ich viel für die Behandlungspflege gelernt, in der stationären Langzeitpflege viel für die Grundpflege – auch interdisziplinär mit den Physio-, Logo- und Ergo-Therapeuten. Im Krankenhaus gibt es mehr Kontakt zu der medizinischen Abteilung, zumindest zu den Assistenzärzten – sofern sie einen mitnehmen und alles erklären. Ich hatte nie dieses Bild von der Pflege, dass es nur um „Hintern abwischen“ geht. Bei der Visite fühlt man sich allerdings nicht immer auf Augenhöhe.
Dabei kommen der Pflege nach dem neuen Pflegeberufegesetz mehr Aufgaben zu. Wir erheben den Pflegebedarf, steuern den Pflegeprozess und die Qualität der Pflege. Gerade examinierte Pflegekräfte haben deutlich mehr Ahnung, auch durch die neue Ausbildung. Als examinierte Kraft hat man auch mal die Schichtleitung: Man muss mehr machen, hat aber auch mehr Überblick, etwa durch die Akten, man erfährt mehr. Daher befürworte ich auch die neue Pflegekammer. Ich weiß, dass es Vorbehalte gibt – man zahlt Beiträge, muss wie Ärzte jährliche Fortbildungspunkte vorweisen –, aber ich glaube, dass die Pflege davon im Endeffekt profitieren wird.
In der jungen Pflege – mit Menschen, die teilweise im selben Alter sind wie ich oder jünger – sind die Herausforderungen nochmal andere als im Geronto- oder Demenzwohnbereich. Man muss sich noch mehr mit den Persönlichkeiten auseinandersetzen. Wenn jemand eine Querschnittlähmung oder Multiple Sklerose hat oder im Wachkoma liegt, muss man außerdem viel mehr mobilisieren, das ist auch körperlich anstrengend.
Es braucht mehr Menschlichkeit in der Pflege: Es ist zu merken, ob nur „einmal drübergepflegt“ wird, weil die Zeit fehlt. Schon in der Ausbildung frage ich mich: Wo nehme ich die Zeit her? Mir ist wichtig, dass man sich mit dem Menschen beschäftigt, zum Beispiel über Biografie-Arbeit, oder auch einfach mal jemanden zum Lachen bringt. Diese Momente sind für mich Ressourcen, die beiden Seiten guttun.
Die Außenwirkung der Pflege ist sicher verbesserungswürdig. Meine Freundin, die Ärztin ist, hat in der Pandemie sehr schnell die Balkontür zugeschlagen, als das Klatschen anfing. Da braucht es etwas mehr. Natürlich geht es um Wertschätzung – aber nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch um Akzeptanz, wie man seine Arbeit machen kann und wie man dafür angesehen wird.


Helin Karakoc 

Helin ist 19 Jahre und macht ihre Ausbildung beim ambulanten Pflegedienst Maria in Poll.

Vor einiger Zeit musste mein Opa ins Krankenhaus – da hat es mir sehr geholfen, sein Krankheitsbild zu verstehen. Deshalb habe ich mein Schulpraktikum im Krankenhaus gemacht und anschließend eine generalistische Ausbildung zur Pflegefachfrau begonnen.
Im Krankenhaus sind die Inhalte sehr umfangreich, hier ist mehr medizinisches Fachwissen gefragt. Man darf diesen Beruf nicht unterschätzen – mit 17 in der Ausbildung zur Krankenschwester habe ich nicht immer verstanden, warum Patienten versterben. Auch die Psyche muss den Tod verarbeiten können. Daher ist es ganz wichtig, vor Beginn der Ausbildung Praktika zu machen.
Ich finde es zwar nach wie vor interessant im Krankenhaus oder mit Kindern zu arbeiten. Aber vor allem In der stationären Langzeitpflege kann ich längerfristige Beziehungen aufbauen, man kennt den Hintergrund der Bewohner. Man weiß vielleicht sogar: diese Person ist erleichtert, sie will sterben, und man kann sie dabei begleiten.
Ich mag auch den Austausch zwischen den Generationen. Die Bewohner sind interessiert daran, wie wir heute leben. Und es ist erstaunlich zu hören, wie sie früher gelebt haben. Ich merke mir ihre Interessen, frage sie nach ihrem Allgemeinwissen oder stelle Quizfragen. Das sind eigentlich Kleinigkeiten – die für uns nicht mehr als ein paar Minuten ausmachen. Für die Bewohner sind sie aber oft etwas Großes, worauf sie sich freuen.
Ich freue mich darauf, all das, was wir in der Pflegeschule lernen, wirklich umzusetzen, zum Beispiel in der Hygiene und der Qualität der Pflege. Man darf nie aufgeben in diesem Beruf.


Leonora Neziraj

Leonora ist 19 Jahre alt und macht ihre Ausbildung bei einem Johanniterstift.

Vor drei Jahren habe ich eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten gemacht. Dazu gehörten verschiedene Praktika: im Krankenhaus, im Kindergarten und im Altenheim. Im Krankenhaus wurde ich damals leider sehr schlecht behandelt, und vor dem Altenheim hatte ich regelrecht Angst. Ich bin sehr geruchsempfindlich und habe gedacht: Intimpflege kann ich nie im Leben machen! Außerdem hatte ich noch keinerlei Erfahrung mit dem Tod.
Am Ende habe ich es aber ausprobiert und mich so schnell daran gewöhnt, dass ich gar nicht mehr weg wollte. Bevor ich dann die Ausbildung zur examinierten Pflegefachfrau begonnen habe, hatte ich schon eine Weile als Pflegehelferin gearbeitet. Mittlerweile liebe ich den Beruf wirklich sehr, ich würde ihn jedem weiterempfehlen.
Die alten Menschen brauchen uns, und sie freuen sich darüber, jungen Menschen zu begegnen. Die Bewohner sagen mir oft: ‚Sie erinnern mich an meine eigene Jugend.‘ Ich gehe mit ihnen genauso um wie mit meinen Großeltern, die leider nicht in meiner Nähe wohnen. Ich mag es, sie schick anzukleiden, sie zum Lachen zu bringen und ihnen einfach Freude zu bereiten.
Sowohl das Zusammentreffen der Generationen als auch das der unterschiedlichen Nationen ist spannend. Ich zum Beispiel bin Albanerin, und eine Bewohnerin, die in Kurzzeitpflege bei uns war, hat sich sehr für meine Kultur interessiert. Als ich ihr ein Video von einer Hochzeit im Kosovo gezeigt habe, hat sie sich unheimlich darüber gefreut. Wir haben uns so gut verstanden, dass wir beide geweint haben, als sie wieder in ihre alte Wohnung zurückgezogen ist.
Gerade mache ich wieder ein Praktikum im Krankenhaus. Nach meinen früheren Erfahrungen hatte ich vorher etwas Angst, aber seit ich das tolle Team hier erlebt habe, bin ich sehr glücklich!