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Clarenbach Aktuell

„Jeder hat das Recht auf Wind in den Haaren“

10. Mai 2021

Souverän umrundet Katrin Thürbach mit ihrer Rikscha das Heinrich Püschel Haus. Die Presbyterin der Clarenbachgemeinde trifft einige Mitarbeitende des Clarenbachwerks, die das Steuern der Gefährte von ihr lernen möchten: Karin Lingen, Claudia Göbel, Martin Klein, Ralf Engelberg und Fereidoun Shams von der Sozialen Betreuung sowie Gabriel Lonquich von der Tagespflege stehen bereit. Akku einsetzen, Verdeck lösen, anfahren am Berg: „Kapitänin“ Thürbach weist die neuen „Piloten und Pilotinnen“ ein – im Auftrag der Initiative „Radeln ohne Alter“.

Unter dem Motto „Jeder hat das Recht auf Wind in den Haaren“ bietet die Initiative Menschen, die nicht mehr selbst in die Pedale treten können, kostenlose Rikscha-Fahrten an. Dafür hatte unter anderem die Gemeinde Junkersdorf eine Rikscha angeschafft, die Katrin Thürbach im letzten Sommer oft für Fahrten ausgeliehen hat: „Der Bedarf ist riesig – ich habe schon über 80 Ausfahrten gemacht.“ Inzwischen hat die Clarenbachgemeinde eine eigene Rikscha. Auch das Clarenbachwerk hat nun vier Rikschas angeschafft – zwei davon finanziert durch den Förderkreis Clarenbachwerk e. V., zwei davon durch die Abteilung für Senioren und behinderte Menschen der Stadt Köln.

Ralf Engelberg vom Haus Andreas findet das Rikscha-Fahren gerade in Corona-Zeiten „einfach nur genial“: „Dadurch ist wieder ganz viel möglich!“ Denn noch immer lassen sich die hauseigenen Kleinbusse wegen der Vorsichtsmaßnahmen nicht für Ausflüge mit Bewohnern nutzen. In der Rikscha ist man dagegen immer an der frischen Luft, Ausfahrten sind mit Mundschutz, als Ehepaar oder für Familienangehörige möglich. Auch den Neupiloten im Clarenbachwerk haben die ersten Fahrten offensichtlich Spaß gemacht: „Das ist ein Gefühl von Freiheit“, sagt Claudia Göbel. Alles ist ein bisschen intensiver: Die freie Sicht, das Fahrgefühl, das an eine Kutschfahrt erinnert. Die Anschnallgurte bieten dabei Sicherheit.

Katrin Thürbach erzählt von ihren Erfahrungen: „Ich habe in der Gemeinde Braunsfeld Senioren gefahren, die seit mehreren Wochen oder zum Teil sogar Monaten nicht mehr ihre Wohnung verlassen haben, weil sie keine Angehörigen mehr haben und alleine nicht aus dem Haus konnten.“ Mit betagten Geburtstagskindern, die wegen der Pandemie keinen Besuch empfangen konnten, habe sie Ausflüge ins Grüne oder an Sehnsuchtsorte unternommen oder Familienangehörige „abgefahren“. Alle Senioren seien von den Ausflügen in die Natur, vielfach auf den altvertrauten Spazierwegen, begeistert und von den Eindrücken spürbar belebt.

„Unsere Bewohner warten auch schon sehnsüchtig darauf, dass es endlich los geht“, berichtet Ralf Engelberg. „Sie fragen immer wieder: ‚Wann machen wir endlich wieder einen Ausflug?‘. Gerade älteren Menschen tue es gut, an bekannte Orte zu fahren – etwa zu dem See, den man immer mit den Kindern besucht hat. Aber auch für Personen mit Demenz sind vertraute Plätze und die neuen Sinneswahrnehmungen ein Geschenk.

Mittlerweile gibt es beim Clarenbachwerk ein eigenes Buchungssystem übers hauseigene Intranet, um die Fahrten zu koordinieren, sobald die Piloten und Pilotinnen ihre Rikscha sicher steuern können. „Dann holen wir uns ein Eis, fahren in den Junkersdorfer Tierpark und beobachten die Rehe – und durchs Grüne geht es wieder zurück“, schwärmt Engelberg. „Oder wir fahren nach Braunsfeld zum Einkaufen – ohne Parkplatzsuche!“