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Gesellschaft

Schuldgefuehle

02. Juni 2025

Schuldgefühle: die – etwas andere – Schuldenfalle

Wenn Schuldgefühle gar nichts mit realer Schuld zu tun haben, wie Georg Salzberger erläutert, was bedeuten Schuldgefühle dann?

Bei Schulden denken wir an Geld, an Schuldner und Gläubiger. Bei Schuld liegt es nahe, dass ihr eine Verfehlung, eine Verletzung zugrunde liegt. Schuldgefühle, um die es hier gehen soll, haben weder mit Geld noch mit realer Schuld zu tun. Dennoch sind Schuldgefühle sehr verbreitet. In sogenannt sorgenden Institutionen wie zum Beispiel im Gesundheitswesen findet man Schuldgefühle zuhauf: Menschen, deren Angehörige von unheilbarem Leid betroffen sind, machen sich fast immer Schuldvorwürfe. Quälender noch sind Schuldgefühle von Menschen, deren Ehepartner, deren Kind oder andere nahe Verwandte sich suizidiert haben. Sie fragen sich, was sie übersehen haben und ob sie den Suizid nicht hätten verhindern können, ja müssen. Fast noch dramatischer sind die Schuldgefühle von Menschen, die als Kind misshandelt oder missbraucht wurden – und dass, obwohl sie sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, sondern Opfer sind. Ebenso dramatisch ist die „Überlebensschuld“ von Juden, die den Holocaust überlebt haben. Die war zuweilen derart quälend, dass sich Überlebende noch Jahrzehnte später umgebracht haben – als verdankten sie ihr Überleben einer untilgbaren Schuld.

Bei diesen Beispielen ist offensichtlich, dass die Schuldgefühle objektiv falsch sind – weshalb ich von einer Schuldenfalle spreche. Schuldgefühle verweisen nicht auf eine reale Schuld, sondern auf eine Situation, ein Unglück, einen Schicksalsschlag, der nicht zu ertragen ist. Schuldgefühle sind immer objektiv falsch. Wer sich tatsächlich schuldig gemacht hat, leidet meist nicht unter Schuldgefühlen, sondern hat Hunderte von Gründen, warum er dennoch unschuldig ist. Deshalb kann man behaupten, dass das Vorliegen von Schuldgefühlen grundsätzlich für die objektive Unschuld des von ihnen geplagten Menschen spricht!

Warum aber hat ein Mensch dann Schuldgefühle, warum quält er sich mit solchen? Bei Schuldgefühlen geht es primär nicht um Regelverstöße, die jemand begangen hat, sondern um das Leid der Mitmenschen, auch wenn man es selbst nicht verursacht hat. Schuldgefühle haben die wichtige soziale Funktion, anderen Menschen beizustehen und stellen ein Gegengewicht zum vom Existenzkampf aufgenötigten Egoismus dar. Und Schuldgefühle entstehen aus der Wahrnehmung der Differenz zwischen dem eigenen, besseren Zustand und der schlechteren Situation anderer Menschen. Derart löst das aus Empathie für das Leid anderer Menschen abgeleitete Schuldgefühl spontane Bereitschaft zur Hilfeleistung aus. Dieses Verhalten ist schon bei Kindern im Alter von 20 Monaten zu beobachten, die bei einem Spielgefährten, dem ein Missgeschick passiert, direkt alle Trost- und Hilfsmöglichkeiten ausschöpfen. Wenn aber keine substanzielle Hilfe möglich ist, bleibt der Hilfsbereitschaft nur mehr der Ausweg in die Schuldgefühle als eine Art von Phantomschmerz. Das Schuldgefühl schützt uns so vor einem anderen Gefühl, das noch schwerer zu ertragen wäre.

Darauf wird zurückzukommen sein, zunächst aber zu den Schuldgefühlen von Angehörigen, um die es hier vor allem geht. Obwohl Angehörige nicht selten am Rande der Selbstaufgabe stehen, um eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung ihres pflegebedürftigen Partners oder ihrer alten Eltern oder ihres kranken Kindes sicherzustellen, obwohl sie auf Urlaub verzichten, Hobbys und Freunde vernachlässigen, quält sie am Ende des Tages ein schlechtes Gewissen, ob sie genug getan haben. Solch quälende Schuldgefühle werden noch vergrößert durch das (ebenso objektiv unzutreffende) Gefühl, für die Behinderung, Erkrankung oder das krisenhafte Alter Mitverantwortung zu tragen. Wer sich länger mit Angehörigen unterhält, wird immer wieder darauf stoßen, dass sie sich am Schicksal ihrer Eltern, Kinder oder Ehepartner mitschuldig fühlen. Beziehungsweise sich schuldig fühlen, weil sie das Leid und Unglück nicht im Nachhinein mildern oder rückgängig machen können.

Gibt es aus dieser besonderen Art der ‚Schuldenfalle‘ keinen Ausweg? Bevor eine Art von Ausweg skizziert wird – erstaunlicherweise ist dieser Weg durch die Bewusstmachung, durch das Eingeständnis und die Anerkennung von Schuldgefühlen charakterisiert – sollen zwei verschiedene, gleichermaßen ungesunde Arten, mit Schuldgefühlen umzugehen, erläutert werden, die für die Betroffenen selbst und manchmal auch für deren Mitmenschen zu einem Problem werden können. Dabei lässt sich auch erklären, welchen funktionalen Sinn Schuldgefühle, wenn sie nicht auf reale Schuld verweisen, haben.

Der typische Weg, die eigenen Schuldgefühle zu bearbeiten, ist die Flucht in eine Überaktivität. Menschen, die unter einer Krankheit, einem Unglück oder einem krisenhaften Alter leiden, werden bei ihren Nächsten immer eine besondere Art des Mitgefühls auslösen. Hilf- und Heillosigkeit, insbesondere in extremen Ausprägungen, haben einen appellativen Charakter: Der damit konfrontierte, mitleidende Mensch wird sich in eine zum Teil blinde Aktion stürzen, wird mit allen Mitteln versuchen, das Leid zu beseitigen, zu mildern oder rückgängig zu machen. Wenn und wo das nicht gelingt, nagt der Skandal des Leids weiter an den helfenden Menschen und potenziert womöglich das Hilfsverhalten. Daraus wird nicht selten ein regelrechter Teufelskreis aus Schuldgefühlen und anhaltenden Versuchen zu helfen. Bei sogenannt professionellen Helfern, die ebenfalls betroffen sein können, spricht man in diesem Kontext vom Helfer- oder Burnout-Syndrom, bei Angehörigen von Alkoholabhängigen spricht man von Co-Abhängigkeit, was auch eine Form der falsch verstandenen, sich selbst schädigenden Hilfe meint.

Das Helfenwollen überspielt dabei die eigene Hilflosigkeit und die Einsicht, einem leidenden Mitmenschen nicht grundsätzlich helfen zu können. Aus diesem Teufelskreis entsteht leicht Überforderung, schließlich sogar Ausgebranntsein und Depression. Das Fatale daran ist, dass die anfängliche Hilfsbereitschaft, das hohe Engagement in Depression und manches Mal sogar in Aggression gegen die Hilfsbedürftigen umschlagen kann. Die Unzufriedenheit, die eigenen, (zu) hohen Ansprüche nicht erfüllt zu haben, wird in diesem Moment zu einer Gefahr für die hilfsbedürftigen Menschen. Der (überaus menschliche) Fehler liegt darin, dass der Betreuende das Leid nicht aushalten konnte, es wegmachen wollte, es per hilfloser und panischer Hilfe aus der Welt schaffen wollte. Erst wer schmerzhaft spürt, dass selbst eine Rundumbetreuung ein Leben nicht leidensfrei machen kann, weil Leid ein integraler Bestandteil menschlichen Lebens ist, kann die schwierige Balance zwischen tätiger Hilfe, Milderung von Leiden und Anerkennung von Unabänderlichem erlernen.

Im letzten Satz habe ich schon einen Weg weg von den quälenden Schuldgefühlen skizziert. Bevor ich eine einfache, aber nicht einfach zu praktizierende Lösung anbiete, noch ein Blick auf die zweite ungesunde Strategie, mit Schuldgefühlen umzugehen. Die erste bestand daran, sich in eine panische Überaktivität zu flüchten – was niemandem hilft und zudem die geschilderten Folgen eines Burnouts oder einer Depression haben kann. Die andere Strategie, Abstand von Schuldgefühlen zu nehmen, ist ein verbreitetes Gesellschaftsspiel: „Wer ist schuld?“ Dieses Spiel, bei dem alle versuchen, ihre Schuld zu verschieben, andere Schuldige ausfindig zu machen, Schuld zu teilen, ist auch deshalb so beliebt, weil unsere Zeit nicht nur an die Kausalität glaubt, sondern auch daran, dass alles machbar ist, dass der Mensch alles selbst in der Hand hat, also Schuld haben kann.

Menschen suchen überall nach einer Bedeutung, um Geschehenes zu erklären, zu verstehen und aushalten zu können. Je bedrängender etwas ist, umso schärfer stellt sich die Frage nach dem Grund, nach dem Sinn des Geschehenen. Die verbreitete Sinngebung von Ereignissen endet in Schuldzuschreibungen. Selbst wenn der Mensch schlechte Laune hat, tendiert er dazu, irgendwen für die eigene, schlechte Stimmung verantwortlich zu machen. Es ist noch gar nicht lange her, so wenigstens behaupten das Ethnologen, da hat man jeden Tod als Folge einer Fremdeinwirkung, als unnatürlich interpretiert. Noch weniger lange ist es her, da hat man Versündigung oder Unmoral für die Entstehung von Krankheiten verantwortlich gemacht. Der Mensch tendiert grundsätzlich dazu, sich persönlich gemeint zu fühlen, schon Kinder verarbeiten auf diese Weise Trennungen: Bei einer Scheidung der Eltern entwickeln fast alle Kinder Schuldgefühle, als hätten sie Verantwortung für das Scheitern der Ehe.

Diese Manie, überall nach Sinn und Bedeutung, sprich Schuld zu suchen, ist natürlich erst recht gegeben, wenn der Mensch einem Ereignis gegenübersteht, das er nicht handelnd ändern kann. Gerade Zwangslagen des Lebens wie Entsagung, Not und Unglück schreien nach Bedeutung. Als Zufall eines schweigsamen, dem Menschen gegenüber indifferentem Universum sind sie noch schwerer auszuhalten. Wenn man keinen ‚echten Sinn‘ mehr in einem Ereignis erkennen kann, dann kann man wenigstens fragen, wer hat das Unglück verursacht. Genau dieser Schuldfrage widmet sich die moderne Gesellschaft mit Besessenheit: Wenn irgendetwas Schreckliches passiert, dann ist, noch bevor man die Verunglückten betrauert, die erste Frage immer die nach dem Schuldigen. Mit den vom Unglück betroffenen Menschen hat das tragisch-alberne Gesellschaftsspiel nichts zu tun, sie werden dazu instrumentalisiert, dass „so etwas nie wieder passieren kann“ – was ihnen nicht hilft und das Geschehen auch nicht rückgängig macht. Das Gesellschaftsspiel hat genau den gleichen Grund wie die Schuldgefühle: Sie dienen der Abwehr von Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühlen. Schuldgefühle entstehen aus dem Bedürfnis nach Erklärungen für überfordernde Situationen. Besser Schuld haben, als hilflos zu sein, besser verursachender Täter sein als bloßes Opfer.

Leid, Unsicherheit, Hilflosigkeit und die Abwesenheit von wirklichen Schuldigen werden selten konstruktiv bewältigt, sondern mit Schuld wird panisch und gleichermaßen erfolglos an der Verdrängung des Gefühls der Ohnmacht gearbeitet. Hilflosigkeit fördert Aggression und Wut sucht sich Schuldige. Früher und heute waren es vornehmlich die Juden, die als Sündenböcke herhalten mussten. Alle Verschwörungsfantasien erzählen die Mär einer jüdischen Weltverschwörung. Auch Frauen wurden zu Sündenböcken gemacht, als Hexen tituliert und verbrannt, weil die, die Leben gebären können, als naturnäher angesehen wurden und deshalb bei Seuchen und Katastrophen verantwortlich gemacht wurden. So kann das Schuldspiel das Zusammenleben vergiften, weil Menschen Zufälle, Tragödien und Ambivalenzen nicht aushalten können, weil es schwer ist, nicht zu wissen, wie es weitergeht und wie es ausgeht. Irgendjemand muss schuld sein, jede andere Erklärung als die Existenz von Schuldigen ist unerträglich. Alles scheint besser zu sein, als Ohnmacht im Angesicht einer Tragödie oder eines Schicksals.

Entsprechend begeistert wird das Schuldspiel am Leben erhalten. In Pflegeeinrichtungen kann man beobachten, wie die Beteiligten sich gegenseitig mit Schuldvorwürfen behelligen, wie sie Schuldgefühle wie scharfe Hunde aufeinanderhetzen. Als wären noch nicht genug Schuldgefühle versammelt, darf nicht vergessen werden, dass auch der Hilfsbedürftige selbst meistens unter solchen leidet. Schon deshalb, weil er sich als Ballastexistenz empfindet, weil er anderen Menschen Mühe macht. Außerdem tendieren Betroffene dazu, die Krankheit oder das krisenhafte Alter als persönlich verschuldete Niederlage zu interpretieren.

Schuld ist genau genommen gar keine Sinngebung, sondern nur ein Sinnersatzstoff, der schnell süchtig macht – aber nicht satt. Er verhindert Akzeptanz und perpetuiert eine komplizierte Trauer, die nicht enden will. Die entsteht z. B., wenn man sich die Schuld an der Selbsttötung eines Zugehörigen gibt oder auch, wenn man für den Tod eines Nächsten einen anderen Menschen oder menschliche Einwirkung insgesamt verantwortlich macht.

Alle Versuche, Schuld wegzudiskutieren, sie zu teilen sind, so war zu sehen, genauso zum Scheitern verurteilt wie handelnde Abarbeitung von Schuld. Weder sind Schuldgefühle Diskussionen gegenüber zugänglich, lassen sich nicht durch Realitätsprüfungen entkräften, noch hilft es, Gegenrechnungen aufzumachen und so Schuld zu verschieben. Ergo müssen Menschen, auch wenn sie objektiv unschuldig sind, mit Schuld und Schuldgefühlen leben! Dostojewski wollte das Prinzip der Schuld zur Grundlage aller menschlichen Beziehungen machen, Schuldgefühle sind derart Verpflichtungsgefühle gegenüber unseren Nächsten. Und sie haben etwas damit zu tun, dass Menschen in einer anhaltend gewalttätigen, ungerechten und grausamen Welt leben, wo es dem Einen bessergeht, weil er verschont bleibt von Katastrophen und Krankheiten, und dem Anderen schlechter. Wobei das Glück des Einen und das Unglück des Anderen eine Verbindung hat, womöglich eine kausale, sodass Glück und Unglück einander bedingen. Weil nur der Zufall über unseren jeweiligen Platz auf der Welt entschieden hat, gibt es eine Verpflichtung nicht nur für den Nächsten, sondern sogar für den Fernsten. Schuldigsein ist laut Dostojewski deshalb ein anderes Wort für Mitmenschsein!

Schuld als ein derart penetrantes Gefühl anzuerkennen, ist der erste Schritt zum Verständnis dieses Gefühlszustandes mit einer langen Geschichte. Einige Philosophen und Psychologen meinen gar, Schuldgefühle wären die erste Form der Verinnerlichung gewesen. Das ist zwar spekulativ, aber die Bedeutung von Schuld und Schuldgefühlen für den Menschen kann kaum überschätzt werden. Alle Religionen fußen auf massiven Schuldgefühlen: Gläubige stehen in der Schuld Gottes, werden schon mit einem Erbsünde-Paket geboren, das niemals abzuschütteln sein soll. Schuld bindet an Übersinnliches. Das erste Motiv für Schuld ist der brutale Naturschrecken, mit dem sich die „ersten“ Menschen herumschlagen mussten. Die Tragödie der Naturkatastrophen war unaushaltbar und wurde in Schuld übersetzt. So hat der Mensch die Tragik des Lebens in illusionäre Schuld verwandelt und tut das noch heute mit Vorliebe. Anders war die damalige Wirklichkeit (und noch heute manches Schicksal) nicht auszuhalten.

Wer diese Herkunft der Schuldgefühle kennt, wundert sich nicht mehr über die Löschungsresistenz dieser sehr alten, archaischen Gefühle. Auch der heutige Mensch gibt sich die Schuld an Ereignissen, denen gegenüber er hilflos war. Wenn man sich die Schuld an einem Ereignis gibt, das man weder hat herbeiführen noch vermeiden können, tut man so, als hätte man die Macht über das Ereignis in der Hand gehabt. Schuldgefühle sind (invertierte) Allmachtsfantasien, sind illusionäre Machtgefühle. Mitfühlender gesprochen: Statt sich eingestehen zu müssen, dass man nichts hat ausrichten können, dass man ohnmächtig war, statt die Übermacht der Realität zu akzeptieren, erhält man per Schuldgefühl die Illusion des Einflusses auf die Wirklichkeit aufrecht. Es gibt wenige Gefühle, die für den Menschen so unerträglich sind wie die des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit und Ohnmacht, da sie dem Selbstbild des aktiven und aller Realität gewachsenen Menschen widersprechen. Da sind Schuldgefühle die vermeintlich bessere Alternative.

Doch auch Schuldgefühle können die von ihnen Betroffenen nur sehr kurzfristig vor der Wahrnehmung einer schonungslosen Realität schützen. Die Zuschreibung und Verschiebung von Schuld statt der Akzeptanz von Schwererträglichem ist ein Versuch, das Schicksal abzuwehren und nicht verarbeiten zu müssen. Das heißt, die Spirale aus Vorwürfen und Schuld lässt sich nur durchbrechen, wenn man lernt, dass es tatsächlich Dinge gibt, die auf unangenehme Art und Weise größer als die eigenen Wünsche sind. Der nächste Schritt ist die Anerkenntnis der menschlichen Insuffizienz im Anbetracht von schwerem Leid. Nur durch das schmerzhafte Eingeständnis der Ohnmacht, nur durch Kapitulation kann man Schuldgefühlen entkommen. Schmerzhaft heißt, gegen Schuldgefühle hilft, sich hinzusetzen und sich zu sagen: „Ja, demgegenüber, was mein Verwandter aushalten muss, bin ich genauso hilflos wie er.“ Wer darüber weinen kann (womöglich gemeinsam), hilft sich und vermeidet Schuldgefühle. Wenn nichts mehr geht, wenn der Mensch seine Unterlegenheit eingestehen muss, hilft immer noch, wenn auch nur ein bisschen, zu weinen, denn dort wird die Kapitulation, die ein passives Ertragen ist, zu einem ‚halbwegs aktiven‘ Tun. Und vor schwerer Krankheit, vor Sterben und dem Tod können wir alle nur kapitulieren.

Um eine andere Sicht auf Schuldgefühle zu bekommen, ist derart ein strenger Realismus hilfreich. Der Mensch ist nur selten der Mächtige, der Kontrolleur der Wirklichkeit, sondern überwiegend ohnmächtig. Übrigens: Die größte (und einzige) Hilfe, die der Mensch anbieten kann, ist, das Gegenüber nicht allein zu lassen, zusätzlich das Vertrauen darin, dass Menschen auch mit schwierigen Situationen umgehen können, dass sie ihr Leben, ihr Leid, ihr Schicksal aushalten können. Womit sich der Kreis schließt, denn wie ausgeführt sind Schuldgefühle Ausdruck meiner inneren Beziehung zu dem Menschen, mit dem ich mitfühle. Wer jetzt über die Kürze der Lösung verwundert ist, dem kann man nur erwidern, dass es tatsächlich so einfach ist, nur ist das Einfache, wie zu sehen war, oftmals viel schwieriger als sich auf diverse Kämpfe und Nebenkriegsschauplätze einzulassen. Um der eigenen Hilfe wieder mit Wertschätzung und Ermutigung begegnen zu können, sollte man Schuldgefühle gelassen akzeptieren.

Dr. Georg Salzberger