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Gesellschaft

Brauchen wir eine Pflegekammer?

22. September 2021

Die Berufsgruppe der Pflegenden stellt mit 1,2 Mio. Arbeitenden die größte Gruppe im deutschen Gesundheitswesen dar. Diese große Berufsgruppe erfährt in der Gesellschaft oft nur Aufmerksamkeit, wenn wieder einmal fatale Zustände in der Pflege aufgedeckt wurden. In der Politik scheint das Interesse an den Belangen der beruflich Pflegenden niedrig zu sein. Auch wenn durch die Corona-Pandemie anfänglich auf die Pflege geblickt wurde, mehr als eine einmalige Bonuszahlung, die nicht in allen Bereichen der Pflege umgesetzt wurde, und das Klatschen auf Balkonen sowie warme Worte wurden es dann doch nicht.

Es mangelt hier deutlich an einer würdigen Vertretung in den jeweiligen politischen Entscheidungsinstanzen. Um diese Missstände zu beheben, ist eine Pflegekammer zur Aufwertung und Stärkung der Pflege hilfreich und dringend nötig!

Übergeordnete Ziele der Pflegekammer sind zum einen die Schaffung eines Stimmrechts der professionell Pflegenden durch eine sozialrechtliche Selbstverwaltung und zum anderen wird eine Beteiligung an der Gesundheitsplanung auf Länder- sowie Bundesebene ermöglicht.

In Deutschland haben in den Bundesländern schon mehrere Pflegekammern ihre Arbeit aufgekommen. Eine Vorreiterposition nimmt hier die Pflegekammer des Landes Rheinlandpfalz ein. Aktuell laufen in vielen Bundesländern ebenfalls Vorarbeiten zur Errichtung von Vertretungs- und Verwaltungsorganen für die Pflege. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen hatte der Förderverein Pflegekammer e. V. sehr gute Vorarbeit geleistet und somit den Aufbau der Pflegekammer NRW ermöglicht.

Aber was ist eine Pflegekammer überhaupt? Sie ist weder Verein noch Verband, als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist sie eine juristische Person, die ihre hoheitlichen Aufgaben durch die jeweilige Landesregierung gesetzlich zugewiesen bekommen hat. Ihr Mandat besteht aus mehreren Aufgabenfeldern, die aktuell auf viele verschiedene Stellen verteilt sind. Sie ist zuständig für die Berufsverwaltung und -ordnung, die Registrierung der Pflegenden, die Abnahme von Prüfungen, der Regelung von Fort- und Weiterbildung, das Erstellen von Pflegegutachten mit zusätzlicher Schiedsstellenfunktion sowie einer politischen Vertretung der Pflegenden bei der Gesetzgebung, die das Ansehen des Pflegeberufes fördert.

Berufsverbände oder die Gewerkschaften werden durch eine Pflegekammer nicht ersetzt. In der Summe trägt ein „Dreigestirn“ von Pflegekammer, Berufsverbänden und Gewerkschaften mit den jeweiligen Aufgaben dazu bei, eine gute Pflegequalität und gute Bedingungen für die Pflege zu schaffen.

 

Abbildung: © Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe – dbfk.de

 

Im europäischen und internationalen Vergleich liegt Deutschland beim Thema Pflegekammer sehr weit hinten. In vielen Ländern sind Pflegekammern bzw. kammerartige Verwaltungsorgane schon seit Jahrzehnten initialisiert und ermöglichen so ein aktives Mitentscheiden und die Förderung der Profession Pflege.

Ein häufiges Argument gegen eine Pflegekammer ist, dass eine „Zwangsmitgliedschaft“ ein falscher Weg sei. Seit den 2000er-Jahren besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Registrierung, diese wurde bis heute aber nur wenig angenommen. Ein Blick auf die internationale Lage, oder auch auf die der Mediziner in Deutschland macht klar, dass eine berufliche Tätigkeit ohne Mitgliedschaft in einem beruflichen Verwaltungsorgan nicht gegeben ist.

Das Zitat von Agnes Karll aus dem Jahre 1908 — „Will die Frau, die Schwester, nicht wie bisher Amboss sein, muss sie eiligst anfangen, Hammer zu werden und nicht mehr ihr Geschick willenlos aus den Händen anderer zu nehmen, sondern es selbst zu gestalten“ — verdeutlicht, dass es dringend an der Zeit ist, eine angemessene Vertretung der beruflich Pflegenden in den Ministerien von Bund und Ländern zu etablieren!

Klaus Strimmer, Leiter der Pflegeschule/Fachseminar im Clarenbachwerk